Die Flucht vor der Wirklichkeit

"Die Wahrheit, die man am wenigsten lernen will, ist die, die am wichtigsten zu wissen ist."

Chinesisch


Da wir nun überspült werden von Psychologen, Psychotherapeuten und Verhaltensforschern, weiß fast ein jeder, daß der Mensch die Flucht ergreifen kann, wenn er mit etwas konfrontiert wird, das er fürchtet, oder das ihm nicht behagt. 

Das Entgegengesetzte kann man auch sehen: Menschen, die provoziert werden durch harte Konfrontationen. 

Sowohl das eine als auch das andere Verhalten spricht weder für den Charakter noch für die Weisheit eines Menschen. 

Beide Verhaltensweisen könnte man eher als krankhaft bezeichnen. 

Dennoch hat sich unsere Gesellschaft diesen Verhaltensweisen angepaßt und eine Menge Zufluchtsorte oder Kampfstätten organisiert, wo sich die Betreffenden verbergen oder ausleben können. 

Tatsächlich ist es so, daß manch einer die Wirklichkeit, d.h. die Wahrheit lieber nicht sehen will. 

Ob das nun im Privatleben oder in der Welt vorkommt, ist einerlei, die Wirklichkeit wird im allgemeinen gefürchtet, weil die heiligen Häuschen, d.h. der Schein, abgerissen wird. 

Es gibt keinen Menschen, der ständig die harte Wirklichkeit zur Schau tragen kann, denn oft ist Mitleid und Vorsicht geboten. 

So leben wir langsam in einer Fassaden-Gemeinschaft, in der sich die Wirklichkeit vermummt und schleichend bewegt. 

Religiöse Gruppen, Wissenschaft, soziale Verhältnisse, Familien, haben sich dermaßen komfortabel auf dem samtenen Kissen des Scheins niedergelassen, daß sie die nackte Wirklichkeit und den kalten Wind der Ernüchterung dermaßen fürchten, daß sie die unsinnigsten und ungesetzlichsten Praktiken anwenden, um sich selbst zu beschützen. 

Sind aus diesen Scheinsituationen nicht die Ketzerverfolgungen, die religiösen und politischen Morde und die Familienfehden entstanden, einhergehend mit der Verkennung der wahrlich großen Geister? 

Aus diesen Scheinsituationen entstehen dann wieder die unglaublichsten Krankheitsbilder, sowohl geistig als auch körperlich, mit unwiederherstellbarem Schaden für die Betreffenden. 

Der Schein ist sanft und scheinbar ungefährlich. 

Niemand berücksichtigt die Seele, den Organismus, den Geist der Betreffenden, die unter diesem Schein leiden, der ihre Expansion und selbst ihr Leben bedroht. 

Seele, Geist und Körper gründen ihre Gesundheit, ihr Wohlsein auf die Realität. 

Sie sind eingestellt - in all ihrer strukturellen Perfektion - auf die Realität, die Gesetze von Natur und Kosmos. 

Diese Realität wird nur zum Teil oder besser gar nicht erkannt, weil sie die krankhafte Selbstbeschirmung oder den krankhaften Ego-trieb von Gruppen und Menschen bedroht. 

Die der Realität oder der Wahrheit dienen, müssen immer um ihr Leben oder ihre soziale Vernichtung fürchten. 

Sie bilden eine Bedrohung für die großen Gruppen Selbsterhalter. 

Wir brauchen uns hier nicht einmal zu fragen: Was ist Wahrheit oder wo befindet sich die Realität. 

Die volle Realität oder Wahrheit sehen kann nur der Weise oder der Wissende. 

Aber jeder von uns wird von Zeit zu Zeit mit Brocken Realität oder Wahrheit konfrontiert, die wir meistens unangenehm finden. 

Die Realität umfaßt nämlich nie ausschließlich sichtbare Tatsachen, es gibt auch die unsichtbare Seite, die nur einige sehen können. 

Es ist die unsichtbare Seite, die die sichtbaren Tatsachen zur Offenbarung drängt. 

Nehmen wir die Philosophie: Sie ist basiert auf Theorien, die kaum von Tatsachen gestützt werden können. 

Auf der anderen Seite stützt sich die Wissenschaft fast ausschließlich auf äußerliche Tatsachen, die nicht logisch begründet werden können. 

Theorie und Tatsache zu verbinden ist das Ziel manch eines Untersuchers, aber man hat darin kaum Erfolg, wenn man die Verbindungen zwischen der ätherischen Welt und der sichtbaren Welt nicht kennt. 

Man kann nicht das Unsichtbare leugnen und das Sichtbare anerkennen, um so zu einer Realität zu kommen. 

Umgekehrt ist es ebenfalls unmöglich. 

Deshalb begegnet man in der Gesellschaft Materialisten - Anerkenner der Tatsachen - und Schwebenden - Verteidiger der Theorien. 

Beide sind nur zum Teil und begegnen einander nicht, wenn sie ihren Standpunkt behaupten. 

Beide weben eine Scheinsphäre um sich hin. 

Meistens sind sie gegenseitige Feinde. 

Die Realität besteht aus drei Stützpfeilern: Das Gegebene, das zu Beweisende und der Beweis oder die Tatsache. 

Es ist die Basis der Geometrie, eine der sieben heiligen Wissenschaften. 

Jeder hat ein Gegebenes in der Hand und sucht es zu beweisen, wobei er meint, den Beweis zu haben. 

Die Geometrie schließt sich hier der Arithmetik, der Zahlenlehre an: Man hat die 1, das Gegebene und häufig den vermeintlichen Beweis, die 3, aber wie kann man die beiden verbinden? 

Das ist die 2.

Die 2, die Zweifel erweckt, die 2, die im Verborgenen bewegt und selten erkannt wird. 

Man kann diese Basisgegebenheit ebenfalls auf die heutige gesellschaftliche Situation anwenden. 

Wir kennen alle das Gegebene: Umweltverschmutzung; wir sehen alle den Beweis davon oder meinen den Beweis davon zu sehen: die Krankheiten oder die Kranken, die aus dieser Verschmutzung hervorgehen. 

Aber nun muß ein "Beweisen" erfolgen, daß z.B. eine Verbindung besteht zwischen der Umweltverschmutzung und den Krankheiten oder den Kranken, zwischen der Verschmutzung und den kranken Wäldern, zwischen der Verschmutzung und den kranken Seehunden, oder den Krebserkrankungen auf einem vermeintlich verschmutzten Boden. 

Darüber beugen sich alle wissenschaftlichen Köpfe, Protestkundgebungen und Empörte. 

Die 2 - "das Beweisen", muß aus seinem Versteck geholt werden, und so stürzen heilige Häuschen ein und eine Wirklichkeit oder Wahrheit wird enthüllt. 

Wer wird den Knüppel in den Saustall werfen? 

Nur jene können es sich erlauben, die "das Beweisen" fest in der Hand halten, denn die uralte geometrische Dreieinheit muß auf die rechte Weise angewendet werden, man muß ihr Gesetz kennen, um zu siegen oder zuzuschlagen. 

So ging es in der Schule mit der Geometrie und so wird es in der Gesellschaft gehen. 

Was sich im Großen abspielt, spielt sich auch in unserem eigenen Leben ab. 

Das Gegebene ist unser innerer Unfrieden, unsere Krankheit, unser geordnetes Leben. 

Was sich in unserem Inneren abspielt, in unseren Gedanken und Gefühlen, ist das Verborgene, das "zu beweisen" ist und das wir leugnen. 

Den Beweis sehen wir in den Tatsachen, an denen wir zugrunde zu gehen drohen. 

Was ist z.B. die Verbindung zwischen den Tatsachen und unserem Unfrieden? 

Welcher Schein zwingt uns, die Situation, an der wir zugrunde gehen, aufrechtzuerhalten? 

Unser Organismus, unsere Seele sind hierbei die Opfer. 

Die Umstände sind unsere Statisten. 

Sie sind unsere Diener, wenn wir sie auch häufig zu Meistern erheben. 

Fast ein jeder ist im Augenblick damit beschäftigt, die größte Geometrie-Aufgabe: die Umwelt, zu einem erfolgreichen Ende zu führen. 

Wir sind in diese Notsituation gelangt, weil wir das Fundament der heiligen sieben Wissenschaften negiert haben. 

Die Geometrie, wie Pythagoras sagt, ist die erste der heiligen sieben Wissenschaften, das fundamentale Gegebene des Alls, worin wir Leben müssen. 

Aber wenn wir es in dem Kleinen verderben, in unserem eigenen Leben, in unserer eigenen Lebenseinstellung, wie können wir denn erwarten, daß wir es dann in dem Großen gut machen werden? 

Allen Philosophien, der Wissenschaft und den Religionen zum Trotz hält sich der übergroße Teil der Menschheit beschäftigt mit einer rücksichtslosen Selbstbehauptung auf einem falschen Fundament. 

Nun können wir sagen: Das wissen wir ja schon! 

Nein, wir sind uns dessen nicht bewußt, denn wir machen damit persönlich weiter. 

Wir bleiben am Schein hängen, an harten Tatsachen, an schönen, aber vagen Theorien, und wir beten noch immer, daß trotz allem es zu einem guten Ende kommen möchte. 

Nun, es wird nicht mehr gut. 

Die Basis ist zerrüttet. 

Und was nun? 

Die Realität einsehen, nicht, mehr fliehen und an der Basis mit der Wiederherstellung anfangen. 

Wie tut man das? 

Indem man beim Kleinen beginnt: das, was uns selbst nicht gut tut, organisch, geistig, läßt man fallen. 

Das, was uns aus unserem Traum reißt, anfachen. 

Also: wirklich werden, Umstände verändern, schlechte Verbindungen lösen, beschädigende Methoden abbrechen. 

Wie kann z.B. jemand, der um seine eigene Lage fürchtet, für die Umwelt eintreten. 

Seien wir doch ehrlich. 

Alle fürchten wir in unserem Herzen z.B. das Ende der Elektrizität, das Ende unseres Komforts, unseres Luxus, an dem wir Gefallen haben. 

Daher suchen wir Ausflüchte, sowohl spirituell als auch körperlich. 

Am liebsten sagen wir: Es ist nicht unsere Schuld! 

Es ist die Schuld der großen Industrien oder der Regierungen, und in unserem kleinen Leben sagen wir: Es ist die Schuld unserer Eltern, unseres Freundes oder unserer Freundin, daß die Umstände so sind. 

Aber es ist doch wohl so: Wenn wir uns weigern, an einem Projekt mitzutun, dann gelingt das Projekt nicht; wenn wir uns weigern, ein Produkt zu kaufen, dann wird es aus dem Handel gezogen. 

Bauten wir nicht gemeinsam die Gesellschaft auf, durch unsere so-genannten Scheinbedürfnisse? 

Bedürfnisse werden künstlich erweckt, körperlich und geistig. 

Die so-genannte "Marktlücke" wird durch uns selbst gebildet. 

Es gibt keine Marktlücke, sozial, körperlich, spirituell, wenn wir vom richtigen Fundament ausgehen. 

Der Geist nährt sich mit vollkommenen oder göttlichen Bildnissen, die z.B. in der Literatur, in der Natur, in der Musik zu finden sind. 

Die Seele nährt sich mit befriedigenden Emotionen, die ebenfalls in Vorgenanntem zu finden sind und außerdem noch durch persönliche, menschliche Kontakte; und der Körper nährt sich mit natürlichen, ehrlichen, einfachen Produkten. 

Religion braucht doch nicht organisiert zu sein, denn dadurch bedient man sich des Scheins. 

Vollkommene Bildnisse brauchen doch nicht von so-genannten Leitern entworfen zu werden oder von Nieten als Comics gezeichnet zu werden als so-genannte Heiligenbildchen. 

Eine natürliche Nahrung braucht doch nicht von großen Fabriken zusammengestellt, verfeinert, der Geschmack so-genannt verbessert und die Farbe verschönert zu werden? 

Es ist der Scheinmensch, der Komödiant, die verwöhnte, widernatürliche Randfigur, die nach all diesen Dingen verlangt. 

Die Figur, die innerlich leer ist, die nicht mehr weiß, wo sie sich körperlich und geistig nähren muß und so zu einer "Marktlücke" wird, auf die religiöse Gruppen, alle Arten von -Logen und gewandte Geschäftemacher losspringen. 

Es besteht nirgendwo ein Bedürfnis, wenn wir unseren inneren Frieden oder unsere innere Fülle besitzen. 

Diese Fülle finden wir immer, wenn wir ehrlich gegenüber uns selbst sind, gegenüber unserer Situation. 

Die Flucht bildet die "Marktlücke", der Kampf gegen vermeintliche Feinde bildet die "Marktlücke". 

Der augenblickliche Kummer um unsere kranke Umwelt ist eine gewaltige Bremse für den Expansionstrieb der gigantischen Habsüchtigen. 

Aber es ist zu spät. 

Die Bremse ist minimal, die Dummheit zu mächtig. 

Und Dummheit und Habsucht sind synonym. 

Der leere Mensch ist dumm; der flüchtende Mensch ist dumm; der starre Mensch ist dumm. 

Es ist eine Dummheit, die nichts zu tun hat mit angelernter Kenntnis. 

Es ist eine geistige Dummheit und eine geistige Leere. 

Der Leere sieht z.B. nicht die strahlende Persönlichkeit hinter dem blühenden Apfelbaum, nicht die intensive Beseelung in einer Honig suchenden Biene, nicht die große Religiosität in einer sich in der Sonne entfaltenden Blume. 

Der Leere sieht die Religio - die Verbindung - zwischen Kosmos und Schöpfung nicht. 

Es ist wieder eine so-genannte "geometrische Größe", die Bindung zwischen kosmischem Quell und Schöpfung. 

Wer sucht es zu beweisen? 

Damit ist man sein ganzes Leben beschäftigt. 

Der Beweis ist die Blume, die sich entfaltet, der Apfelbaum, der duftet und strahlt, die Biene, die von Blume zu Blume eilt. 

All diese Gegebenheiten zusammen bilden das große Laboratorium, in dem der Mensch körperlich und geistig Genesung findet. 

Aber der Mensch sucht seine Genesung dort nicht. 

Er sucht sie bei den chemischen Fabriken, oder anderswo in obskuren Kämmerlein mit obskuren Figuren. 

Ist das denn keine Dummheit? 

Der Kosmos, die Realität, die seit dem Beginn der Welt ist, hilft, genest, befriedigt durch eine fundamentale Dreieinheit, in welcher unsere eigene Dreieinheit: Geist, Seele und Körper ihre Befriedigung findet. 

Warum befriedigt dies denn viele nicht? 

Weil ihre eigene Dreieinheit nicht oder kaum besteht und ihr Suchen disharmonisch wird. 

Warum meiden viele die Einfachheit und suchen die Kompliziertheit? 

Weil sie gelernt haben, daß sich die Einfachheit nicht lohnt, weil das Komplizierte besser bezahlt wird und einen größeren Scheinglanz hat. 

Ist das so?  

Ist die gelehrte Auseinandersetzung schöner, befriedigender, überzeugender als die Energie des Schilfrohres, das sich immer wieder nach dem Sturm aufrichtet? 

Ist die Auseinandersetzung beruhigender als der Klang des rauschenden Stromes, der unerschütterlich zu seinem Meer hineilt? 

Das Ruheschenkende in der Natur ist immer das Unberührte, das Unzerstörte und das Endlose. 

Der Mensch versucht - und hat meistens dabei Erfolg -, diese Quellen des Friedens zu vernichten. 

Ist es dann nicht logisch, daß er das Unheil über sich selbst aufruft? 

Das Heil - das Heilen - wird entkräftet, das Unheil, die Vernichtung wird aufgerufen. 

So entsteht wieder eine "Marktlücke". 

Der Mensch will gesund, geheilt, geheiligt werden und die Scheinhelfer beeilen sich, dieses Loch zu stopfen. 

Sehen wir das nicht augenblicklich um uns herum geschehen? 

Fliehen kann man nicht mehr. 

Auf der Barrikade zu stehen, ist vernünftiger. 

Aber dafür muß man innerlich stark sein. 

Die Leeren werden über den Haufen gerannt, denn sie haben "Bedürfnisse". 

Und jene, die Bedürfnisse haben, sind verwundbar und bestechlich. 

In Wirklichkeit kann ein Mensch sich selbst retten. 

In jeder Hinsicht: spirituell, körperlich, sozial. 

Es kostet nur etwas Mühe! 

Wir sind der Mühe entwöhnt. 

Wir kennen unsere Kapazitäten nicht, weil es keine Herausforderungen gab. 

Ehe eine Herausforderung kam, fingen sie die organisierten Gruppen, die Fabriken auf. 

Nun, da unsere Umwelt krank ist und im Sterben liegt, erwartet den individuellen Menschen eine neue, alte Herausforderung. 

Wer wird sie annehmen? 

Nicht der Fliehende vor der Realität! 

Wer in dem Kleinen flieht, flieht auch in dem Großen.

Aber manchmal braucht der Mensch eine Herausforderung, eine harte Lektion, um wach zu werden. 

Es sieht so aus, als ob es nun für uns alle so weit gekommen ist. 

Mögen viele früh genug erwachen, um ein neues Fundament zu legen, damit die alte Einheit: Kosmos - Schöpfung - Mensch  wiederhergestellt werde!

©1970-2013 Henk und Mia Leene