Erinnerungen als Lebensinspiration

Zwischen Vergessen und Bewahren müssen 

entfaltet sich unser Leben. Wer die Waage zwischen beiden im  Gleichgewicht hält, hat sein Leben gewonnen.

Otto Heuschele 


Wenn uns mehr am Vergessen gelegen wäre, dann würde die Welt anders aussehen.

Wir verweilen vielleicht nie dabei, daß das Vergessen und das sich Erinnern zwei Seiten ein und derselben Wirkung sind, die immer mit unserer Seele zu tun haben. Jeder vergißt, was in seiner Seele nicht aufgezeichnet wurde und erinnert sich an das, was eingraviert ist. Aber die Seele bestimmt, was vergessen und was eingraviert wird.

Daher gibt es Menschen, die die ihnen zugefügten Schmerzen nicht vergessen, während es Menschen gibt, die sich nur an die guten Taten erinnern.

Die Qualität der Seele ist es, die hier wählt.

Über Seelenqualität kann man nicht streiten, aber eine Seele kann wohl lernen.

Wenn das Zitat zum Ausdruck bringt, daß 'Sie Ihr Leben gewinnen, wenn Sie die Waage im Gleichgewicht halten', dann hat dies immer mit Ihrer geistigen Lebenskraft zu tun.

Das körperliche Leben steht unter ganz anderen Bedingungen und ist abhängig vom Einfluß der inneren Lebenskraft. 

Eine schlechte Seele, d.h. eine ungelehrige Seele, kann den Körper dermaßen beeinflussen, daß er dahinsiechen kann.

Daher wird der Körper und der ganze Mensch durch gute, harmonisierende Gedanken und Ausgangspunkte günstig beeinflußt. Aber solch eine Einstellung besitzt man erst dann, wenn eine gute Seele in einem wohnt, eine Seele, die bereit ist,  zu lernen oder die eventuell bereits gelernt hat. Es gibt in uns zahllose flüchtige Erinnerungen, die durch eine Assoziierung aufgerufen werden können, welches meistens nicht sehr eingreifende Erinnerungen sind. 

Aber die Erinnerungen, die uns als eine schmerzliche Erfahrung begleiten, sind die Erinnerungen, die unsere Seele angegriffen haben und die sie weder verarbeiten noch umsetzen kann.

Erinnerungen sind dazu da, um umgesetzt zu werden, sonst würden wir das Vermögen der Erinnerung nicht besitzen. Wir müssen mit diesem  Vermögen etwas tun; solange wir es nicht richtig gebrauchen, erfahren wir Seelenschmerzen.

Jeder weiß, daß wir manchmal Jahre dazu brauchen, um bestimmte Erinnerungen zu verarbeiten, bis sie keinen Schmerz mehr verursachen.  Das ist Wachstum.

Die Zeit, die wir dazu benötigen, ist bei jedem anders. Dasselbe gilt für die so-genannten unvergeßlichen Erinnerungen. Wir können uns mit ihnen helfen, uns mit ihnen unterstützen, oder wir können uns täglich mit ihnen peinigen.

Es ist hier wieder die Seele, die entscheidet.

Eine ängstliche, widerstrebende, Lehren verweigernde Seele flieht in Erinnerungen, weil das Heute Anstrengungen von ihr verlangt. Es wird z.B. für manche Seelen eine Anstrengung bedeuten, Vertrauen zu lernen.

Fast alle Menschen, die von schicksalhaften Ereignissen getroffen werden, leiden Mangel an Vertrauen an eine höhere Macht oder an einen Ewigkeitswert. Das Schicksal ist es, das sie zwingen will, dieses Vertrauen zu entwickeln.

Jemand, der unter allen Umständen sein Vertrauen bewahrt, ohne untertan zu werden, benutzt die Chance, um aus seinen Um-ständen zu lernen. Aus dem Faden der Erinnerungen wird ein unvergängliches Kleid gewoben, das uns in jedem Leben angelegt wird.

Eine gute Erinnerung, ein lehrreicher Umstand, ein Geschick, durch das Sie gereift sind, legt aufbauende Erinnerungen in Sie.

Wenn Sie sich heute in Not befinden, dann steigen Erinnerungen in Ihnen auf, um Ihnen zu helfen, auf die Werte zu achten, aus denen Sie früher einmal geschöpft haben.

Eine Seele, die aus einem sich zum Guten gewandten Umstand nicht lernt, ist eine ungelehrige Seele. Nichts schenkt einen größeren Halt als eine gut und nützlich verarbeitete Erfahrung; diese kann Ihnen niemand mehr nehmen.

Hieraus wächst Ihre innere Sicherheit.

Wir fügen uns oft sehr viel Leid zu, indem wir uns an unangenehme Dinge erinnern wollen, und indem wir Dinge behalten, die wir eigentlich loslassen müßten.

Wir behalten das Verkehrte und wir erinnern uns an das Verkehrte, das ist unsere Schwäche, und es ist ein Beweis, daß wir kein Vertrauen haben und an sentimentalen und materiellen Verbindungen mehr interessiert sind, als an wertvollen Dingen.

Dann verdienen wir es, verwundet oder enttäuscht zu werden.

Enttäuschungen sind doch Empfindungen des Egos und der Persönlichkeit. Eine Seele kann nicht enttäuscht werden, weil sie ihre Wahl anders trifft.

Seelen hängen nicht an Familienangehörigen, Seelen hängen an Gleichen, das ist etwas völlig anderes, und jede Seele weiß auch, daß keine einzige Mit-Seele ihr in den eigenen Interessen oder Meinungen folgen können wird. Jede Seele ist doch anders, das ist ihre Individualität und ihr einmaliger Ursprung.

Menschen, die ihre Mitmenschen zwingen wollen, wie sie zu sein, müssen mit Enttäuschungen rechnen. Überdies beweisen sie, einsichtslos zu sein und von einem Willenszwang auszugehen.

Freiheit bedeutet, sich den eigenen Möglichkeiten gemäß zu entfalten, ohne einen Zwang von außen.

Eine gute Seele, die voller Sicherheit und Vertrauen ist, wird sich niemals wegen verschiedener egozentrischer  Interessen, die dann wieder Enttäuschungen und Leid hervorrufen, manipulieren lassen.

Sie lassen sich immer manipulieren aus Angst; Angst, um etwas zu verlieren, das Sie häufig getrost verlieren können  ohne dadurch Seelenleid zu erfahren. Die Wahl, was wir bewahren und was wir verlieren können, ist ebenso schwierig, wie die Wahl zwischen sich erinnern und vergessen.

Die Wahl ist von unseren Erfahrungen abhängig und vor allem von dem, was wir aus unseren Erfahrungen gelernt haben.

Etwas um jeden Preis festzuhalten, bringt Leid, und an diesem Leid kann niemand etwas tun als Sie selbst. Es kommt oftmals ein Augenblick, da Sie beschließen müssen: loslassen, oder festhalten und durchleiden.

Mögen wir dann nicht so raffiniert egozentrisch sein, uns einzubilden, daß Gott, oder wer auch immer, uns dieses Leiden auferlegt; niemand legt uns etwas auf als wir selbst.

'Das Leben besteht aus Leiden' lesen wir in manchen Zitaten, vor allem in jenen, die aus kirchlichen Kreisen kommen; und dieses Leiden wird verherrlicht, als ob man dadurch den Himmel gewinnen könnte. Aber das Leiden hört auf, sobald wir es in Wissen umsetzen, und nur durch dieses Wissen kommen wir zu innerem Wachstum.

Unser Leiden geduldig zu tragen, ist sehr relativ.

Wir müssen zuerst bis auf den Grund untersuchen, ob nichts gegen dieses Leiden unternommen werden kann.

Erinnerungen haben häufig weniger mit Tatsachen als mit Gefühlen zu tun. Wir sehnen uns häufig nicht nach einem Ort oder nach einem Menschen, sondern wir sehnen uns nach den Gefühlen, die sie bei uns erweckten.

Je tiefer die Gefühle waren, desto mehr wurde unsere Seele getroffen; wir verlangen immer nach einer Wiederholung von etwas Schönem oder Herrlichem.

Dasselbe hören wir in spirituellen Kreisen: Menschen, die eine tiefe innere Erfahrung hatten, suchen nach einer Wiederholung.

Es ist die Seele, die hier im Spiel ist, nichts anderes.

Es sind die Gaben der Seele, die erweckt werden: Vertrauen, Freundschaft, echte Liebe, innere Einheit.

Dasselbe sehen wir mit dem Trost, den wir suchen.

Das, was uns tröstet, ruft eine Seelen-Emotion in uns auf, die unseren ganzen Organismus durchzieht und uns so über unseren Jammer hinaushebt. Der Trost kann sehr unscheinbar sein, aber er berührt eine innere Saite, die die Seele wieder zum Leben und zur Freude bringt. Wenn diese Erfahrungen des Trostes nicht vorhanden sind, dann ist das ein Beweis dafür, daß wir uns mit Finsternis umgeben und das Licht, die Erleuchtung nicht einlassen.

So arbeiten wir uns langsam aber sicher in die Tiefe; dasselbe sieht man auch bei gejagten Menschen, die so dringend Tag und Nacht einem Ziel nachstreben. Ihnen entgehen die Berührungen der Seele und sie enden immer im Leid.

Lebenskunst ist, Verbindungen zu erkennen, die die guten Seelen-Rührungen zum Vorschein rufen. Also nicht Dinge zu vergessen, die man bewahren muß.

Eine reife Seele bewahrt und vergißt auf die rechte Weise. Sie lebt mit unvergänglichen Schätzen, welche Ihnen eine Stütze sein werden. Aus den unvergänglichen Schätzen schöpfen Sie Kraft für das Heute, verfallen aber nicht in Träumereien.

Es ist unser Auftrag, reifer zu werden. Es ist nie unser Auftrag gewesen, auf der Erde eine gute Position aufzubauen.

Das Reifen bringt uns von selbst dahin, wohin wir gehören.

Auch dies ist eine Frage des Vertrauens. Ein Mensch kann nie nach Weisheit streben, aber er kann wohl auf die Lehren achten, die die Weisheit wachsen lassen.

Ungelehrige Menschen sind von den eigenen Qualitäten erfüllt, sie sind prahlerisch, voll von sich selbst und jeder weiß, daß jene, die voll von sich selbst sind, niemanden und nichts anderes gelten lassen. Unser größter Schutz, aber auch unsere größte Armut liegt im Besitz unserer Erinnerungen. Die Erinnerungen bauen uns auf oder zerstören uns.

Die Kraft der Erinnerungen ist eine der schönsten Gaben, die der Mensch besitzt, weil man dann 'Rosen im Dezember' haben kann. Ein schwieriger Lebensweg, der mit schönen Erinnerungen geschmückt ist, wird leichter bewandelt als ein schwieriger Lebensweg mit nur wenig schönen Erinnerungen.

Es gibt zwar Menschen, die sagen: Ich habe keine schönen Erinnerungen. Nun, das liegt an ihnen selbst.

Jeder kann sich trösten mit der Einfachheit einer schönen Erinnerung und sollte es nur eine Erfahrung in der Natur sein.

Wenn Sie sich z.B. an einem düsteren Tag erinnern, wie schön vor einer Woche der Sonnenaufgang war, dann können Sie den Tag leichter durchstehen als sonst, nicht wahr?

Es ist eine Kunst, die Erinnerung dermaßen zu stärken, daß sie Sie völlig erfüllt. Sie können sie beleben und aufs neue lebendig machen. Dann rufen Sie die Gefühle auf, die das Ereignis in Ihnen hervorrief.

Ist das nicht ein Vorrecht? Ist das nicht ein Wunder?

Ist das nicht eine Gunst, die wir als Geschöpfe empfingen?

Warum machen wir keinen größeren Gebrauch davon?

Es ist keine Kunst, um das Heute zu trauern, aber es ist eine Kunst, dieses Heute durch eine schöne Vergangenheit zu bereichern. Es wird dann auch bereichernd sein, wenn wir Erfahrungen suchen, die unserer Seele gut tun, denn diese Erinnerungen bleiben und begleiten uns.

Jede peinigende Seelen-Erfahrung muß in Wissen umgesetzt werden: Warum? Wozu? Wie kann ich etwas daraus machen?

Jede angenehme Seelen-Erfahrung ist für uns eine Freude, eine bleibende Freude, aber auch die Freude müssen wir aus ihr schöpfen. Wir dürfen sie nicht unbemerkt an uns vorbeigehen lassen, weil sie z.B. selbstverständlich wäre.

Es ist nicht so, daß das Unangenehme eine Last und ungerecht ist und das Angenehme  selbstverständlich und verdient.

Vergessen wir nicht, daß unsere guten Erinnerungen unser eigenes Paradies sind, aus dem wir nicht vertrieben werden können. Wir können höchstens uns selbst nicht zulassen.

Einem, der seine Vergangenheit, ob sie nun vor Jahren oder erst gestern war, nur als eine Aneinanderreihung von Pflichten und Selbstverständlichkeiten ansieht, fehlt sein Paradies.

Das Paradies, so sagt das Buch Henoch, liegt zwischen dem Wesentlichen und dem Unwesentlichen.

Nun, dies ist genau die Sphäre, in der unsere Erinnerungen wohnen. Wie nahe stehen wir einander, wenn wir Erinnerungen teilen können. Wie glücklich fühlen wir uns, wenn wir gemeinsam die Erinnerungen beleben können.

Auch hier gilt:  Wo zwei oder drei in einer Erinnerung beisammen sind, ist das Glück vorhanden. Dort wird die Seele getröstet und gestärkt. Und wenn die Seele stark ist, ist der ganze Mensch stark und glücklich.

Verzweiflung, Ruhelosigkeit, Mißtrauen oder das Nicht-vorhandensein von Vertrauen bringt auf allen Ebenen Leiden und durch dieses Leiden kann man die Spur verlieren, wodurch man dann zur Beute von Betrügern und Gewinnsüchtigen werden kann.

Es sind immer die schwachen Stellen, die uns behindern. In die schwache Stelle trifft der Pfeil der Profitsüchtigen, körperlich und geistig. Und wir haben alle schwache Stellen.

Haben Sie wohl einmal darüber nachgedacht, welches Ihre schwache Stelle ist?

Ehrgeiz, Begierde, Mangel an Vertrauen, Unglaube, Mangel an Energie, Lustlosigkeit oder Gleichgültigkeit? Vielleicht Angst vor sich selbst? Furcht, um etwas zu verlieren, oder Angst, um Streit zu bekommen?

Jeder hat eine schwache Stelle, die er schließen muß.

Die schwache Stelle, unsere Achillesferse, kann uns der Ewigkeitswerte berauben, weil wir sie verwahrlosen oder unbeachtet passieren lassen. 

Unsere schwache Stelle ist immer die: keine Wahl zu treffen zwischen Bewahren oder Loslassen, Vergessen und Erinnern.

Und die schwache Stelle heißt, wie wir sie bereits nannten: Ehrgeiz, Egozentrizität, Angst, Mangel an Vertrauen, usw.

Wir leben in einer Zeit, in der Meditation 'in' ist.

Meditation sollte eigentlich nichts anderes sein als sich 'erinnern', und zwar auf dem allerhöchsten Niveau. Die Erinnerung vertiefen, die Seele baden in dem Duft einer tröstenden, heilenden Erinnerung.

Wessen bedarf unsere Seele?

Welches duftende Bad bevorzugt sie?

Ist sie z.B. zufrieden mit der Erinnerung an eine angenehme Familie, oder verlangt sie mehr?

Das beweist ihre Qualität.

Unsere Seele wird weder kalt noch warm von Predigten, die sie weder rühren noch berühren. Die Seele lauscht nicht einem Wort, sondern der Schwingung, die von einem Wort, einem Duft, einer Farbe, einem Klang oder einem Gegenstand ausgehen kann.

Deshalb kann sich die Seele plötzlich erinnern, wenn sie z.B. einen sehr alten Gegenstand wahrnimmt; sie reagiert durch die Sinne des Menschen, aber auch durch die Sinne, deren sich der Mensch oft gar nicht bewußt ist.

Das Vergessen, besser gesagt, das Auslöschen, geschieht ebenfalls durch menschliche Begabungen und zwar durch Begabungen, deren Sie sich nicht bewußt sind.

Wenn Sie etwas vergessen wollen,  dann können Sie es nicht. Das geschieht erst in dem Augenblick, wo Sie fertig sind, was gewöhnlich die Endphase eines Prozesses ist. Nichts geschieht plötzlich, alles braucht seine Zeit und hat einen Prozeß nötig.

Was plötzlich geht, hat Neben- und Nachwirkungen.

Es ist ein geistiges und ein Naturgesetz, daß alle Teile, sowohl die psychischen als auch die physischen, einen Prozeß durchlaufen müssen, da sie eine Einheit bilden.

Sie können leiden, wenn Ihr Körper etwas nicht verarbeitet.

Sie können aber auch leiden, wenn Ihre Seele etwas nicht verarbeitet.

Harmonie ist Einheit und gegenseitige Gleichgesinntheit.

Es gibt keinen Menschen, der Ihnen diesen Prozeß abnehmen kann. Er kann Sie höchstens darauf hinweisen, Ihnen helfen, ihn zu erkennen, aber den Prozeß müssen Sie selbst durchmachen.

Sie müssen selbst erkennen, was zu vergessen und was zu behalten ist. Sie müssen selbst eine Trennung vornehmen zwischen sich erinnern und vergessen und weiterleben mit dem, was übrigbleibt.

Aber jeder Tag kann unsere Erinnerung bereichern und unsere Vergessenheit umsetzen; jede Sekunde wird zu einer Erinnerung oder einem Vergessen.

Das weise kosmische Gesetz schenkt uns ein bestimmtes Maß an Vergessenheit, eine scheinbare Vergessenheit für ein einzelnes Leben, aber alles ist aufbewahrt im Schoß unseres Seins und es liegt an uns, was wir daraus zum Vorschein holen wollen, um unser Leben zu bereichern oder zu vertiefen.

Denn unser Leben ist das, was unsere Erinnerungen und unsere Gedanken aus ihm machen.

Möge beides schön sein.

©1970-2013 Henk und Mia Leene