Unvergessliche Vergangenheit

"Ein Mensch ist der er ist, nicht der er war." 

Jüdisch 

"Unsere Taten folgen uns." 


Wenn wir über die Vergangenheit schmollen, strafen wir uns ständig selbst in dem Heute, so daß uns dies auch kein Glück bringt. 

Wenn wir uns vor Augen halten, daß jeder Sucher mit einer unvergeßlichen Vergangenheit belastet ist, dann ist es begreiflich, daß es unter den Suchern so viele labile oder unglückliche Menschen gibt. 

Das Eintauchen in das Chaos, mit allen damit verbundenen Risiken, verfolgt uns bis auf den heutigen Tag und wurde zum Anlaß für ein Pandämonium von Religionen. 

Diese machten uns, wie man sehen kann, keineswegs glücklich, bis auf diejenigen, die sich begnügen mit einer simplen Genugtuung oder einem Stellvertreter. 

Aus dieser unvergeßlichen Vergangenheit geht die oft erwähnte Urerinnerung hervor, die uns wie ein Shin, eine entzündete Zahnwurzel, ständig peinigt. 

Und das ist ein Vorrecht. 

Sie hindert uns am Einschlafen, sie drängt uns zum Suchen, bis daß wir das Beste gefunden haben. 

Wenn die Urerinnerung schwächer wird, fangen wir zu dösen an, fühlen wir uns ermüdet und legen wir uns bei den Umständen nieder. Die Kampfeslust nimmt ab. 

Sucher werden vereinigt und können einander verstehen, weil eine Urvergangenheit sie verbindet. Eine Urerinnerung, die zu denselben Taten und Erwägungen anspornt. 

Es ist vollkommen wahr, was Plato sagte: "Die Seele trennt oder verbindet uns." 

Es sind die Erinnerungen, die unsere Bewußtseinsstufe bestimmen. 

Sich bewußt zu sein von seinem Urwissen, ist wie zu leben mit einem Gewissen; das sind jene Menschen, die kritisch, manchmal mißtrauisch, aber immer unruhig und seit langer Zeit unbefriedigt sind. 

Wenn man eine Erinnerung an etwas Vollkommenes besitzt, dann genügt das Unvollkommene kaum. 

Zugleich dürften sich diese Menschen von dem ununterbrochenen Lebensgang bewußt sein, worin der Tod eine Veränderung der Kulissen ist. 

Hieraus könnte wieder hervorgehen, daß diese Menschen frei von Ängsten wären. 

Jeder, der beseelt sucht, kennt keine Angst, weil ein völliger Einsatz die Angst fortnimmt. 

Die meisten religiösen Bewegungen beschäftigen sich mit Frustrationen, vorübergehenden Abweichungen oder Erkrankungen des menschlichen Verhaltens. 

Selten beschäftigen sie sich mit der verdrängten Seele. 

Da eine verwundete, hungernde oder negierte Seele körperliche Reaktionen hervorruft, sind es die Reaktionen, mit denen man sich beschäftigt. 

Es ist die reinste Symptom-Therapie. 

Und jeder weiß genau, daß das überhaupt keinen Sinn hat. 

Sich mit der Seele zu beschäftigen, klingt im allgemeinen ein wenig vage. 

Man weiß kaum, was eine Seele ist, aber körperliche Reaktionen sind zu sehen oder zu greifen. 

Es ist verständlich, daß so viele esoterische und religiöse Menschen unter Erkrankungen des vegetativen Nervensystems leiden, was immer ein Beweis ist, daß eine Uneinigkeit zwischen Körper und Seele besteht. 

Die Seele verkümmert, wird nicht genährt, wird mit ihren Wünschen verdrängt, wodurch als erstes das vegetative Nervensystem, das System, das den Alten zufolge ein Mittler zwischen Kosmos und Mensch ist, Mängel aufweist. 

Ebenso wie das Herz kann man dieses Nervensystem nicht zwingen, harmonisch zu werden. 

Es wird hauptsächlich genährt durch friedliche, harmonisierende Emotionen, die jedoch häufig spirituell sind. 

Man gehe dem einmal bei sich selbst nach: echte Freundschaft macht glücklich; innere Befriedigung macht glücklich; innere Sicherheit macht glücklich; ein entgegengebrachtes Vertrauen schenkt Frieden. 

Die Seele lebt aus diesen tieferen Emotionen, und je weiser sie ist, desto tiefer gehen die Emotionen, aber auch desto tiefergehende Gefühle verlangt sie. 

Sie kann dann nur von verfeinerten emotionellen Werten genährl werden. 

Genauso wie der weiser gewordene Mensch sich körperlich völlig anders ernährt als der oberflächliche unweise Mensch. 

Der ganze Organismus, das Nervensystem eingeschlossen, wird feiner und empfindlicher. 

Und diese Reaktion kann man auf die spirituelle Ebene übertragen: die Seele findet keine Befriedigung in zeremoniellen, intellektuellen Auseinandersetzungen, sie verlangt ursprüngliche, direkte geistige Nahrung. 

Durch diese logische Entwicklung wird der Mensch dann kritischer. 

Es ist auch selbstverständlich, daß er das ruhelose Suchen aufgibt und viel selektiver zu Werke geht. 

Eine unvergeßliche Vergangenheit ist eine Belastung, die nur starke Schultern zum Guten wenden können. 

Ein jeder ernsthafte Sucher trägt eine solche Vergangenheit. 

Daran kann nichts geändert werden, höchstens kann man es zu vergessen trachten, wie es verschiedene Sucher versuchen. 

Aber dann bekommt man die tief sitzenden vegetativen Erkrankungen. 

Keine einzige Vergangenheit kann vergessen werden, weil sie in uns eingekerbt wurde; und gerade diese Einkerbungen sind dazu da, um gebraucht zu werden. 

Wenn diese nicht umgesetzt werden, sind sie hinderlich; nach einer Umsetzung können sie helfend sein. 

Unser ganzes Leben ist nichts als eine Transformation. 

Wir werden angehalten, uns stets mit der Transformation zu beschäftigen, wie wir dies auch um uns herum in der Natur beobachten können. 

Das, was sich nicht transformiert, steht still. 

Wenn wir bemerken, daß wir stillstehen, wird es höchste Zeit für eine Selbstuntersuchung. 

Kein einziger ernsthafter Sucher wird den Stillstand schätzen; ist der Weg-zurück nicht ein ständiges Wachsen? 

Sich horizontal zu bewegen, hat damit nichts zu tun. 

Jeder Baum und jede Blume bewegt sich mit dem Wind. 

Das besagt nichts von ihrer Entwicklung. 

Bei jedem Wachsen kommt das, was am tiefsten sitzt, nach oben; so wie die alten Alchemisten immer Symbole hatten mit Hilfe von drehenden Bewegungen: das Unterste, das nach oben kommt, das Innere, das nach außen kommt. 

Leider sind wir viel zu oft damit beschäftigt, das Unterste oder das Innere zu maskieren, nicht begreifend, daß wir gerade dadurch einen Stillstand verursachen, ein Umschalten auf eine horizontale Bewegung. 

"Ich will die Vergangenheit vergessen" ist ein häufig gehörter Ausspruch. Aber das ist doch falsch. 

Man kann sie umsetzen, ihr nähertreten, sie verarbeiten. 

Solange man sie verdrängt, bleibt sie ständig ein Klotz am Bein. 

Je weiser jemand wird, desto leichter wird es, die Vergangenheit zu erkennen und zu nutzen. 

Der Mensch ist der er ist, nicht wahr, und nicht der er war. 

Gerade weil er derjenige ist, der er JETZT ist, kann er die Vergangenheit nutzbringend anwenden. 

Die Vergangenheit ist ein Boden, aus dem schöne oder mißlungene Pflanzen hervorsprießen. 

Den Boden bereit zu machen ist unsere Arbeit, die Arbeit des Gärtners. 

Und jeder Tag fügt dem Boden das Richtige oder das Unrichtige hinzu, aber der Boden bleibt. 

Sagen wir nicht, ich suche meine Wurzeln, wenn wir uns losgeschlagen fühlen? 

Nun, die Wurzeln eines jeden sind mit einer Vergangenheit verbunden. 

Und die Vergangenheit des spirituellen Suchers verbirgt sich in einer Urzeit, deshalb wird solch ein Mensch zu einem "Sucher". 

Wenn man diese Urvergangenheit nicht erkennt, ist das Suchen bodenlos, ist der Glaube bodenlos, man kann dann fortgerissen werden von den Winden oder niedergeschlagen werden vom Blitz. 

Da das ganze Leben, einschließlich das des Menschen, mit der Natur und ihren Umständen verglichen wird, wird man entdecken, wie sehr das Klima für das Leben bestimmend ist. 

Das Klima der Umstände: 

Regen als Emotionen; 

Wind als Reinigung und Prüfung; 

Donner und Blitz als große Veränderungen; 

Wärme als angenehme Umstände, oder auch manchmal als drückende, wenn diese zu "heiß" werden und beengen; 

Kälte als Abkühlung. 

Das Leben ist ein Aneinanderreihen solcher Klimaveränderungen, und um diesen die Stirn bieten zu können, muß man gewurzelt sein. 

Gewurzelt worin? 

In der Familie ist nicht genug, das sind vorübergehende Bindungen. 

Je tiefer die Wurzeln gehen, desto mehr Sicherheit hat man mit seinem Leben umgehen zu können, und die Lebenskunst zu erlernen. 

Die Wurzeln sind es, die die Pflanze zum Vorschein zaubert und es werden die Wurzeln sein, die das menschliche Leben, das Streben und das Verhalten bestimmen. 

Sich zu fragen, worin man gewurzelt ist, ist oft enthüllend, weil dann so viele entdecken, daß sie keine Wurzeln haben. 

Ein Mensch ohne Wurzeln und ohne Boden wächst nicht, er wird nur mitgeschleift, ohne dagegen etwas tun zu können. 

Zuerst wurzeln, dann wachsen. Umgekehrt geht es nicht. 

Man blickt zum Himmel empor, was richtig ist. Wenn man aber ungewurzelt emporblickt, wird man schwindlig. 

Unser Boden und unsere Wurzeln bestimmen, wie lange, wie intensiv und wie weit wir nach oben sehen können. 

Unsere Wurzeln bestimmen unsere Größe, unsere Art. 

Die Saat eines jeden von uns liegt in Gottes Hand, um es religiös auszudrücken, aber das heißt, daß wir über unsere geistige Saat nichts zu sagen haben. 

Wir sind gesät in eine geistige Sphäre, und aus dieser Saat versuchen wir hier - auf der Erde - zu wurzeln. 

Wir sind also fremdländische Geschöpfe, die jedoch hier wurzeln müssen, weil wir dies selbst gewählt haben und nun gehalten sind, dieses irdische Leben zu durchleben, um das verlorene Reich wiederzufinden. 

Das ist das Risiko, das sind die Konsequenzen unserer Vergangenheit. Um davon eine Tragödie oder ein Problem zu machen, ist verlorene Zeit. 

Die Tatsache liegt darin, daß das, was nicht hierher gehört, durch fremde Umstände lernen muß, sich anzupassen, unter der Bedingung, daß es nicht vergißt, woher es kam. 

Das Risiko liegt darin, daß wir einen zeitlichen Umstand als dauerhaft oder als den einzig richtigen betrachten. 

Dies ist der Fall, wenn die Urerinnerung eingeschlafen ist oder wenn man sich weigert zu wurzeln. 

Das "Wurzeln" jagt nämlich manchem Angst ein, weil er meint, dann nicht mehr loszukommen. Was beweist, daß seine Urerinnerung nicht stark genug ist. 

Sollte jemand, der endlich sein lang verlorenes Zuhause wiederfindet, die Kraft nicht besitzen, sich von den ihn behindernden Umständen zu befreien? 

Ausschlaggebend ist die Verbindung unserer Seele mit ihrem verlorenen Zuhause. 

Leider ist diese Idee für viele noch zu abstrakt. 

Solange sie noch eine Abstraktion ist, weiß man es nur vom Hörensagen. 

Und das, was wir "vom Hörensagen" wissen, beseelt uns nicht. 

Aus der Urerinnerung kommt die Beseelung um zu wurzeln und zu suchen. Wurzeln hat nichts mit Materialismus zu tun, sofern man dies denken sollte, es kommt darauf an, WORIN man wurzeln will. 

Einen Boden bekamen wir alle mit, wir nahmen den himmlischen Boden mit und können darin wurzeln. 

Solch ein Boden besitzt Nährstoffe für die Seele, so daß sie sich ent-wickeln und unter allen Umständen geborgen und sicher fühlen kann. 

Wenn der himmlische Boden mit unserer irdischen Vergangenheit vermengt wird, dann ist man immer auf de Suche nach Nahrung, die einen beseelt. 

Die irdische Vergangenheit beseelt nicht, sondern die himmlische Vergangenheit oder unsere kosmische Vergangenheit ist der Anlaß zur Beseelung. 

Überall wo das Irdische mit dem Himmlischen verwoben wird, wird man eine Stimulans finden, um seine geistigen Erinnerungen auszubreiten, und somit gleichzeitig die Seele zu nähren. Nichts ist heilender für das vegetative Nervensystem als die himmlische oder kosmische Nahrung. 

Man kann diese Vermengung finden in seinem Haus oder bei seiner Arbeit, bei seinen Freunden oder bei seinen Gedanken. 

Es ist einerlei, wo man sie findet, aber das Wichtigste ist, DASS man sie findet und so oft und so umfassend wie möglich. 

Es ist eine Form geistiger Be-FRIED-igung. 

Der Mensch lebt nicht von Essen, Schlafen und Unterhaltung allein, der Mensch, aus der Höhe gekommen, sucht nach den Höhen. 

Und es werden die Winde aus den Höhen sein, die ihm die Botschaft übertragen, und es wird der Tau des Himmels sein, der ihn regeneriert. 

Die Natur ist eine exakte Kopie der göttlichen Gesetze. 

Aber die Natur hat keine Urerinnerung, sie kennt nur Aufeinanderfolgen.

Was die Menschen voneinander unterscheidet, ist ihre Seelenerinnerung. Eine unirdische Vergangenheit. 

Ein unirdisches Heimweh. 

Sie, die dies besitzen, können nicht mit jenen diskutieren, die es nicht besitzen, denn sie werden sich nicht verstehen. 

Letztere werden dann alles nur "vom Hörensagen" wissen, und dies macht sie zu Imitatoren. 

Die Menschen, die sich erinnern können, erkennen die Imitation unmittelbar und weisen sie ab. 

Daher kommt die Skepsis all den Bewegungen gegenüber, die mit der Unruhe des Menschen oder seinem Unbefriedigtsein oder mit den armen Seelen, die ihr vegetatives Nervensystem besudeln, spielen. 

Sie machen Mißbrauch von Unwissenden oder der Verführung. 

Mit einer starken Urerinnerung kann man jedoch nicht verführt werden, sie kann einen höchstens begleiten. 

Es gibt einen Hunger der Seele und es gibt einen Hunger des Körpers, und die Befriedigung beider mündet in eine Ekstase, eine körperliche Ekstase oder eine Seelen-Ekstase. 

Eine Ekstase, wobei die Realität vergessen wird, eine Ekstase, die als eine völlige Übergabe betrachtet wird; eine mystische Ekstase, woraus eine Erinnerung übrig bleiben muß, die den Mystiker zu tieferem Wissen führt. 

Die mystische Ekstase ist ein Begriff, den jeder Sucher kennen kann und der ihn näher zu dem Quell führt, WENN er zuvor gut gewurzelt stand. 

Jede Ekstase ist vernichtend, wenn der Betreffende keine Wurzeln oder keinen Boden hat. 

Was ist unser Boden? 

Kann man diesem Boden vertrauen? 

Kann man ungestraft seine Wurzeln in ihn schlagen? 

Muß man vielleicht seinen Boden anreichern? 

Ein armer Boden macht einen hungrig. 

Geistiger Hunger kann zu törichten Dingen führen, wenn der Hunger nur stark genug ist. 

Nur ein reicher Boden ist ein Garant für ein erwachsenes Geschöpf, und für jeden Sucher gibt es einen reichen Boden aus himmlischen und irdischen Stoffen. 

Je mehr man aus seiner Vergangenheit lernt - und der gestrige Tag ist bereits Vergangenheit -, um so reicher wird der Boden. 

Umso weiser, also schöner, wird das Produkt. 

Allein Stillstand ist schädlich. 

Jede Pflanze bewegt sich dem Ziel zu, das sie erreichen will, ihre Bewegungen sind langsam, aber sie bewegt sich. 

Sie entsprechen immer ihrem inneren Drang. 

Hat man jemals eine Pflanze gesehen, die sich vom Licht abwendet? 

Nur der Mensch macht diesen Fehler. Und solch ein Fehler ist ein Beweis für seine widernatürliche und geistige Abweichung. 

Das, was einen anzieht, beweist, wer man ist, aber es beweist auch, woraus man genährt wird. 

Das heutige starke Bedürfnis an Mineralen und Vitaminen, völlig natürlichen Produkten, die selbstverständlich in der Natur vorhanden sind, beweist, daß man in einer Zeit von Hunger und Unbefriedigtsein und vor allem auch von Lichtlosigkeit lebt. 

Niemandem kann man dafür die Schuld geben als dem Menschen selbst. 

Man sorge zuerst für einen reichen Boden und wende sich dann dem Himmel zu. 

Und wenn der Boden irdisch und himmlisch ist, wird dies zu einer selbstverständlichen Handlung. 

Dafür braucht man keine Belehrungen, denn was man weiß, befindet sich IN einem, durch das Urwissen und Gewissen. 

Die Lösung liegt direkt neben einem und ist so einfach, daß sie niemand verfehlen kann. 

Es kommt nur darauf an, ob man ehrlich und wahrhaftig genug ist, um demaskiert werden zu wollen. 

Denn für jene, die wollen, ist die Pforte zu Licht und Leben noch immer aufgegangen. 

Viele werden erst zurückkehren müssen zum neuen Anfang, aber von dort aus wird alles eine andere Wendung nehmen, und bis jetzt hat niemand, der diesen Weg ging, es bereut. 

Untersuche den Boden und finde die Wahrheit und die Auflösung.

©1970-2013 Henk und Mia Leene