*) Übertragen nach der ersten Auflage der drei Rosenkreuzerschriften von Johann Valentin Andreae, herausgegeben von Richard van Dülmen im Calwer Verlag Stuttgart, 1973
Johann Valentin Andreae
CHYMISCHE HOCHZEIT:
CHRISTIANI ROSENCREUTZ. ANNO 1459
(1616)
DER SIEBENTE TAG *)
Als ich nach acht Uhr erwachte und mich schnell angekleidet hatte, wollte ich mich wieder in den Turm begeben. Aber es waren so viele finstere Gänge in dem Wall, daß ich eine gute Weile umherirrte, ehe ich einen Ausgang gefunden hatte. Dies geschah anderen auch, bis wir endlich in dem untersten Gewölbe wieder zusammenkamen. Dort wurden uns ganz gelbe Kutten samt unseren Goldenen Vliesen gegeben. Da zeigte uns die Jungfrau an, wir wären Ritter vom Goldenen Stein, was wir zuvor nicht wußten. Nachdem wir uns nun also fertiggemacht und das Frühstück eingenommen hatten, verehrte der Alte jedem ein Stück Gold.
Auf der einen Seite standen diese Worte:
AR. NAT. MI. (Ars naturae ministra),
auf der anderen Seite diese:
TEM. NA. F. (Temporis natura filia).
Er ermahnte uns auch dazu, wir sollten nicht über und wider diesen Denkpfennig handeln. Danach zogen wir hinaus ans Meer. Da lagen unsere Schiffe so köstlich zubereitet, daß es wohl nicht gut möglich war, daß diese Sachen erst hierher gebracht worden waren.
Es waren zwölf Schiffe: sechs davon für uns und sechs für den Alten, die mit lauter gut ausgerüsteten Soldaten besetzt waren. Er selbst aber kam zu uns, als wir alle bereits beieinander waren. Im ersten Schiff nahmen die Musikanten Platz, von denen der Alte eine große Zahl zu seiner Verfügung hatte. Sie fuhren zu unserem Zeitvertreib vor uns her. Unsere Flaggen zeigten die zwölf Himmelszeichen; unser Schiff führte das Zeichen der Waage. Unter anderem hatte es auch eine herrliche, schöne Uhr, die alle Minuten anzeigte. Das Meer war so still, daß das Fahren ein Genuß war. Aber das Beste waren die Worte des Alten, der uns mit wundersamen Geschichten die Zeit dermaßen vertrieb, daß ich mein Leben lang hätte mit ihm fahren mögen.
Unterdessen bewegten sich die Schiffe schnell vorwärts. Ehe wir zwei Stunden gefahren waren, sagte uns der Schiffsmann, daß er das ganze Meer mit Schiffen bedeckt sehe, die uns zweifellos entgegenkämen. Und so war es! Als wir aus dem Meer durch die bereits erwähnte Flußenge in den See kamen, erblickten wir die fünfhundert Schiffe, von denen eines von Gold und Edelsteinen nur so schimmerte. Darin saßen der König und die Königin samt vielen hochgeborenen Herren, Damen und Jungfrauen. Sobald man unser gewahr wurde, ließ man alle Kanonen abfeuern. Dazu erscholl solch ein Getöse von Posaunen, Trompeten und Heerestrommeln, daß alle Schiffe davon erzitterten. Nachdem wir nahe herangekommen waren, umringten sie unsere Schiffe und hielten also an.
Auf Ersuchen des Königs hielt Atlas eine kurze, jedoch zierliche Ansprache an uns, mit der er uns willkommen hieß und zu wissen begehrte, ob die Königliche Gabe zugerüstet wäre. Meine anderen Gesellen verwunderten sich höchlichst, wovon dieser König auferstanden wäre. Sie meinten nicht anders, als daß sie ihn erst wieder erwecken müßten. Wir überließen sie ihrer Verwunderung und taten so, als ob uns dies auch fremd deuchte. Nach der Ansprache von Atlas trat unser Alter hervor und antwortete ihm weitläufig, wobei er dem König und der Königin alles Glück und Vermehrung wünschte. Dann überreichte er ihnen eine kleine, zierliche Truhe. Was aber darinnen war, weiß ich nicht. Sie wurde Cupido, der zwischen beiden hin und her ging, zur Aufbewahrung gegeben. Nach vollendeter Rede wurden wieder Freudenschüsse abgefeuert.
Darauf fuhren wir miteinander eine gute Zeit dahin, bis wir endlich zum anderen Ufer kamen. Dies war nahe der ersten Pforte, durch die ich zuerst hineingekommen war. Auf diesem Platz wartete abermals eine große Menge des Königlichen Hofgesindes mit einigen hundert Pferden. Sobald unser Schiff angelegt hatte und wir an Land gegangen waren, boten der König und die Königin uns allen mit besonderer Freundlichkeit die Hand. Dann mußten wir die Pferde besteigen.
Hier möchte ich den Leser freundlich gebeten haben, er wolle mir folgende Erzählung zu keinem eigenen Ruhm oder Stolz deuten, sondern mir zutrauen, daß ich ohne Notwendigkeit über die mir erzeigte Ehre geschwiegen hätte. Wir wurden alle nacheinander unter die Herren aufgeteilt; unser Alter aber und ich Unwürdiger mußten neben dem König reiten. Jeder von uns trug eine schneeweiße Fahne mit einem roten Kreuz. Zwar wurde ich wegen meines Alters auserwählt; denn wir beide hatten lange graue Bärte und Haare. Auch hatte ich meine Zeichen auf dem Hut herum befestigt, was der junge König bald wahrgenommen hatte und fragte, ob ich derjenige sei, der die Zeichen unter dem Tor hätte lösen können. Ich antwortete untertänigst mit "Ja".
Er aber lachte und erklärte, daß ich fortan keine Zeremonien mehr zu beachten brauche; denn ich sei sein Vater. Dann fragte er mich noch, womit ich sie denn gelöst hätte. Ich antwortete: "Mit Wasser und Salz!" Da wunderte er sich und fragte, wer mich so gewitzt gemacht habe. Hierauf wurde ich etwas kecker und erzählte ihm, wie es mir mit meinem Brot, der Taube und dem Raben ergangen sei. Das gefiel ihm, und er sagte ausdrücklich, daß Gott mir sonderlich viel Glück hierzu verliehen habe.
Hiermit kamen wir an die erste Pforte, wo der Hüter in dem blauen Kleide stand, der in der Hand eine Bittschrift trug. Sobald er mich neben dem König gesehen hatte, übergab er mir die Bittschrift mit dem untertänigen Ersuchen, ich möge der Treue gedenken, die er mir am ersten Tag bewiesen habe. Nun fragte ich zunächst den König, wie es doch um diesen Hüter beschaffen wäre.
Er antwortete mir freundlich: Es wäre ein berühmter, trefflicher Astrologe, der schon bei seinem Herrn Vater in hohem Ansehen gestanden habe. Nun habe er sich vor einiger Zeit gegen Frau Venus vergangen, indem er sie auf ihrem Ruhebett angeschaut habe. Darum sei ihm die Strafe auferlegt worden, so lange das erste Tor zu hüten, bis ihn jemand davon erlösen würde. Ich fragte, ob er denn davon zu erlösen wäre. Der König antwortete: "Ja, so jemand gefunden wird, der genauso schwer gesündigt hat wie er. Dieser muß an seiner Statt stehen, und jener wird frei."
Dieses Wort ging mir zu Herzen; denn mein Gewissen überzeugte mich, daß ich der Täter wäre; doch schwieg ich still und überreichte hiermit die Bittschrift. Sobald er sie gelesen hatte, erschrak er heftig, so daß es auch die Königin und deren Jungfrauen und noch eine Königin, von der ich beim Aufhängen der Gewichte schon gesprochen habe und die hinter uns ritten, gemerkt hatten. Sie fragte ihn deswegen, was dieser Brief zu bedeuten habe. Er aber wollte sich nichts anmerken lassen, sondern steckte den Brief ein und begann, über andere Dinge zu reden, bis wir gegen drei Uhr vollends in das Schloß hineinkamen.
Als wir abgestiegen waren und den König in den schon bekannten Saal begleitet hatten, bat der König den alten Atlas in eine kleine Kammer und zeigte ihm den Brief. Dieser säumte nicht lange, sondern ritt zu dem Hüter hinaus, um noch mehr über diese Sache zu erfahren.
Hierauf setzte sich der junge König mit seiner Gemahlin, den Herren, Damen und Jungfrauen nieder. Darauf begann unsere Jungfrau unseren bewiesenen Fleiß, unsere Mühen und unsere Arbeit hoch zu rühmen und bat, uns königlich zu belohnen, ihr aber zu gewähren, ihr Amt weiterzuführen. Danach stand auch der Alte auf und bezeugte die Richtigkeit alles dessen, was sie vorgebracht habe. Es sei darum recht und billig, daß wir zu beiden Teilen befriedigt würden. Hierauf mußten wir einen Augenblick zurücktreten.
Es wurde beschlossen, daß jeder einen möglichen Wunsch aussprechen dürfe, der uns gewährt werden solle. Denn es sei nicht daran zu zweifeln, daß ein Verständiger auch den besten Wunsch aussprechen würde. Darüber sollten wir bis nach dem Abendessen nachdenken. Inzwischen begannen der König und die Königin miteinander aus Kurzweil eine Art Schach zu spielen, doch mit anderen als den gewohnten Regeln, nämlich mit Tugenden und Lastern, die gegeneinander kämpften. Man konnte deutlich sehen, mit welchen Listen die Laster die Tugend bedrängten und wie diese sich dagegen wehrte. Dies ging so galant und kunstvoll zu, daß wir wünschten, wir hätten auch solch ein Spiel.
Unterdessen kam Atlas zurück und machte eine geheime Mitteilung. Ich errötete über alle Maßen; denn mein Gewissen ließ mir keine Ruhe. Hierauf bot mir der König an, die Bittschrift selbst zu lesen. Der Inhalt war etwa folgender: Zunächst wünsche er dem König Glück und Vermehrung, daß sein Same weit verbreitet werde. Danach wies er darauf hin, daß nunmehr der Tag erfüllet sei, an dem er nach der Königlichen Zusage von seinem Amt befreit werden solle; denn Venus sei von einem seiner Gäste entblößt worden. Seine Wahrnehmungen könnten ihn nicht trügen. Darum solle Seine Königliche Majestät eine strenge und fleißige Untersuchung einleiten, um herauszufinden, daß seine Entdeckung auf Wahrheit beruhe. Wenn dies aber nicht der Fall sein sollte, wolle er sein Leben lang an der Pforte bleiben. Er bäte darum untertänigst, ihn auf Leibes- und Lebensgefahr am heutigen Nachtmahl teilnehmen zu lassen. Dann würde er sicher den Täter selbst erspähen und alles zur gewünschten Erledigung kommen. Das war nun ausführlich und zierlich dargestellt; ich konnte sein Talent erkennen, aber mir war es zu scharf. Wie sehr wünschte ich, daß ich es nie gesehen hätte!
Nun überlegte ich, ob ihm wohl durch meinen Wunsch geholfen werden könne. Darum fragte ich den König, ob es keine andere Möglichkeit gebe, ihn zu befreien. "Nein", antwortete der König, "denn diese Dinge haben ihre besondere Bewandtnis. Doch können wir ihm seinen Wunsch wegen Teilnahme am Nachtmahl wohl erfüllen." Und er sandte einen Diener aus, um ihn hereinzuholen. Unterdessen wurden Tafeln in einem Saal gedeckt, in dem wir zuvor noch nicht gewesen waren; dieser war so vollkommen und dermaßen beschaffen, daß es mir nicht möglich ist, ihn auch nur einigermaßen zu beschreiben. Dorthin wurden wir mit besonderer Pracht und Zeremonie geführt.
Cupido war diesmal nicht anwesend, weil er, wie mir berichtet wurde, etwas erzürnt sei über den Schimpf, den man seiner Mutter angetan habe. Insgesamt waren meine Tat und die übergebene Bittschrift die Ursache für viel Traurigkeit. Denn dem König schien es bedenklich, seine Gäste zu verhören, hauptsächlich deshalb, weil es dadurch diejenigen, die nichts davon wußten, erfahren würden. Er überließ es daher dem Hüter selbst, der inzwischen bereits angekommen war, scharf aufzupassen, und gab sich selbst so heiter wie möglich.
Schließlich fing man wieder an fröhlich zu werden, und man unterhielt sich mit allerlei kurzweiligen und nützlichen Gesprächen. Wie die Bewirtung und die anderen Zeremonien verliefen, ist überflüssig zu sagen. Denn für den Leser ist es nicht vonnöten und für mein Vorhaben nicht dienlich. Alles aber war über die Maßen schön; wir wurden mehr mit Genüssen von Kunst und menschlicher Geschicklichkeit überfüttert als mit Getränken belastet. Dies war das letzte und herrlichste Mahl, bei dem ich gewesen bin.
Nach dem Bankett wurden die Tische schnell weggeräumt und einige schöne Sessel im Kreis aufgestellt, in denen wir mit dem König und der Königin, den beiden Alten, den Damen und den Jungfrauen Platz nehmen mußten. Dann öffnete ein schöner Knabe das bereits erwähnte herrliche Büchlein, worauf Atlas sich in die Mitte stellte und folgendermaßen zu reden begann:
Seine Königliche Majestät habe noch nicht vergessen, was wir für Sie getan und wie fleißig wir unseres Amtes gewaltet hätten. Wir würden daher zur Belohnung alle zu Rittern vom Goldenen Stein erwählt. Darum sei es vonnöten, daß wir von nun an uns nicht allein gegen Seine Königliche Majestät richtig verhalten und Ihm gehorsam sein müßten, sondern wir müßten uns auch an die folgenden Artikel halten. So würde dann Seine Königliche Majestät wissen, wie Sie sich gegen Ihre Bundesgenossen verhalten müsse. Hierauf ließ er einen Knaben die folgenden Artikel vorlesen:
I. Ihr Herren Ritter sollt schwören, daß Ihr Euren Orden keinem Teufel oder Geist, sondern allein Gott, Eurem Schöpfer, und dessen Dienerin, der Natur, jederzeit zuschreiben wollet;
II. Daß Ihr alle Hurerei, Unzucht, Unreinheit hassen und mit solchen Lastern Euren Orden nicht besudeln wollet;
III. Daß Ihr durch Eure Gaben jedem, der ihrer wert ist und sie nötig hat, zu Hilfe kommen wollet;
IV. Daß Ihr solche Ehre nicht zu weltlicher Pracht begehret und nicht zur Vermehrung Eures Ansehens verwendet;
V. Daß Ihr nicht länger leben wollet, als es Gott haben will.
Über diesen letzten Artikel mußten wir genug lachen; er mag wohl auch nur zum Possen hinzugefügt worden sein. Wir mußten dies alles auf des Königs Zepter geloben. Hierauf wurden wir mit der üblichen Feierlichkeit zu Rittern geschlagen und außer anderen Privilegien über Unwissenheit, Armut und Krankheit gestellt, um mit denselben nach unserem Gutdünken zu handeln. Dies alles wurde später in einer kleinen Kapelle, in die wir in einer Prozession geführt wurden, bestätigt und Gott dafür gedankt. Dort habe ich zur Ehre Gottes mein Goldenes Vlies und meinen Hut aufgehängt und zum ewigen Andenken allda zurückgelassen. Und weil dort jeder seinen Namen eintragen mußte, schrieb ich also:
SUMMA SCIENTIA NIHIL SCIRE
Fr. CHRISTIANUS ROSENCREUTZ
Eques aurei Lapidis:
Anno 1459
Jeder schrieb etwas anderes; jeder tat, was ihm gutdünkte. Hierauf wurden wir wieder in den Saal geführt und setzten uns nieder. Auch wurden wir ermahnt, uns schnell zu besinnen, was jeder wünschen wolle. Der König aber hatte sich mit den Seinen in die kleine Kammer begeben, um dort unsere Wünsche anzuhören. Nun wurde jeder einzeln hereingerufen, so daß ich also von keinem einzigen Wunsch etwas sagen kann. Ich überlegte, daß ich zur Ehre meines Ordens am besten eine rechte Tugend zeigen sollte und fand nichts rühmlicher als das zu tun, was mich sauer ankam, und Dankbarkeit zu zeigen. Wenn ich mir darum auch lieber etwas anderes gewünscht hätte, überwand ich mich und beschloß, mit Gefahr für mich selbst den Hüter, meinen Wohltäter, zu befreien.
Als ich nun in die Kammer gerufen wurde, fragte man mich zunächst, ob ich, da ich doch die Bittschrift gelesen hätte, nichts vom Täter gemerkt oder geargwöhnt hätte. Hierauf begann ich unerschrocken zu berichten, wie alles vor sich gegangen war und wie ich aus Unverstand dahin geraten sei. Ich erbot mich, alles zu büßen, was ich verwirkt hätte. Der König und die anderen Herren wunderten sich höchlichst über dieses unerwartete Bekenntnis und forderten mich auf, mich ein wenig zu entfernen. Nachdem ich wieder zurückgerufen worden war, erklärte mir Atlas: es sei für Seine Königliche Majestät schmerzlich, daß gerade mir, den Seine Majestät vor allen anderen geliebt habe, dieses Unglück geschehen sei. Da es aber unmöglich sei, sich über die alten Bräuche hinwegzusetzen, könne kein anderes Urteil gesprochen werden, als daß jener befreit werde und ich seine Stelle einnehmen müsse. Seine Majestät wolle für mich hoffen, daß bald ein anderer sich vergreifen würde, damit ich wieder heimkommen könne. Aber man könne wohl nicht auf eine Befreiung vor dem Hochzeitsfest seines zukünftigen Sohnes hoffen.
Dieses Urteil hätte mich beinahe ums Leben gebracht; wie war ich mir jetzt wegen meines schwatzhaften Mundes feind geworden. Warum hatte ich nicht schweigen können? Doch faßte ich endlich ein Herz, und weil ich dachte, es müßte jetzt sein, erzählte ich, daß dieser Hüter mir ein Zeichen gegeben und mich dadurch den andern empfohlen habe. Durch diese Hilfe hätte ich die Prüfung auf der Waage bestanden und sei aller genossenen Ehre und Freude teilhaftig geworden; darum schiene es mir gebührlich, mich gegenüber meinem Wohltäter dankbar zu erweisen. Weil es auch nicht zu ändern sei, würde ich mich für das Urteil bedanken und wolle auch gern etwas Unangenehmes ihm zuliebe tun, der mir zu solchem Stand verholfen habe. Wenn aber mit meinem Wunsch etwas auszurichten sei, würde ich mich wieder heim wünschen. So wäre dieser durch mich, ich aber durch meinen Wunsch befreit.
Mir wurde zur Antwort gegeben: So weit erstrecke sich das Wünschen nicht; sonst hätte ich ihm auch die Freiheit wünschen können. Es habe aber Seiner Königlichen Majestät wohl gefallen, daß ich mich so gut darein gefügt hätte. Sie seien nur besorgt, daß ich noch nicht wisse, in welch elenden Zustand ich mich durch meinen Fürwitz gebracht habe. Nun wurde der gute Mann freigesprochen und mußte ich mit traurigem Herzen abtreten. Nach mir wurden die übrigen hereingerufen, die alle fröhlich wieder herauskamen, was mir noch schmerzlicher war; denn ich dachte nicht anders, als daß ich mein Leben unter dem Tor beschließen müsse. Ich grübelte hin und her, was ich wohl beginnen solle und wie ich die Zeit hinbringen könne. Schließlich dachte ich, daß ich doch schon alt sei und wahrscheinlich natürlicherweise nur noch wenige Jahre zu leben habe.
So würden Melancholie und Leid mich noch früher sterben lassen; dann sei mein Torhüten vorbei. Vielleicht könnte ich mich auch durch seliges Schlafen bald ins Grab bringen. Solcher Gedanken hatte ich mancherlei. Zuweilen verdroß mich, daß ich so schöne Dinge geschaut haben sollte, um derer hinterher beraubt zu werden. Dann wieder war ich froh, daß ich vor meinem Ende an allen Freuden teilgenommen hatte und nicht so schändlich hatte abziehen müssen. Dies war denn also der letzte und ärgste Schlag, den ich erleiden mußte.
Während all dieser Gedanken waren die anderen fertig geworden und wurden nun, nachdem sie Abschied vom König und den Herren genommen hatten, jeder in sein Zimmer geführt. Ich armer Mann aber hatte keinen, der mir den Weg zeigte, und mußte mich obendrein noch verspotten lassen. Damit ich meiner künftigen Funktion auch gewiß sei, mußte ich den Ring, den jener zuvor getragen hatte, an meinen Finger stecken. Endlich ermahnte mich der König, da ich ihn jetzt zum letzten Mal in solcher Gestalt sähe, ich solle mich meinem Beruf gemäß und nicht gegen meinen Orden verhalten. Danach umarmte und küßte er mich, woraus ich entnahm, daß ich am Morgen an meinem Tor sitzen müsse.
Nachdem sie nun alle noch eine Weile freundlich mit mir geredet, mir schließlich die Hand gereicht und mich dem göttlichen Schutz empfohlen hatten, wurde ich von den beiden Alten, dem Herrn des Turmes und Atlas, in ein herrliches Quartier geführt. Darin standen drei Betten, und jeder legte sich in eines davon.
So verbrachten wir noch beinahe zwei etc.
Hier fehlen ungefähr zwei Quartblättchen und ist derjenige (Autor huius), der vermeinte, er müsse am Morgen Torhüter sein, heimgekommen.
ENDE.