Die Hohepriesterin - 2; Die Päpstin, Hebräischer Buchstabe Beth (bayth)
Die heilige Einbildungskraft ist notwendig, um zu einem Erschaffen kommen zu können.
Aus der Einbildung entstehen Krankheiten, aber auch Heiligungen.
Es ist ein typisches Merkmal unserer Zeit, daß man dem Menschen seine Einbildungskraft raubt; das Kind wird in seinem bildenden Vermögen, ganz besonders durch das Fernsehen und die Bildergeschichten, eingeengt.
Wenn dies in entsprechender Weise geschieht, fehlt dem Kind in seinem späteren Leben, manchmal auch schon in seiner Jugend, jede Möglichkeit zu einem selbständigen Denken, zu einem abstrakten Erschaffen.
Gerade die Fähigkeit zu diesem abstrakten Erschaffen ist für die spirituelle Entwicklung des Kindes und des Menschen unentbehrlich.
Eine streng dogmatische Religion raubt dem Menschen ebenfalls seine Einbildungskraft, sie bildet die Bilder selbst, und so bekommt man eine religiöse Bildergeschichte, an die sich der Mensch klammert und deren Bilder ihn nicht mehr loslassen.
Die Einbildung durchbricht die mentalen Begrenzungen, ein Mangel an Einbildung schließt den Menschen in seinem Gefängnis des von außen her beeinflußten Denkvermögens ein.
Es gibt Menschen, die sich an äußerliche Gegebenheiten halten, und es gibt Menschen, die den Quell sehen, aus dem diese Gegebenheiten entstehen.
Ersteren fehlt die Kraft der Einbildung, d.h. das Wirken der Hohepriesterin - letztere lassen die Hohepriesterin ihre Arbeit verrichten.
Nun ist natürlich verständlich, daß die Einbildung von demjenigen abhängig ist, der sie inspiriert: Hohepriesterin ODER Päpstin.
Die Hohepriesterin ist eine selbständige magische Kraft - die Päpstin ist eine gebundene natürliche Kraft.
Die Hohepriesterin hat intuitiv bildendes Vermögen, die Päpstin ist instinktiv, naturgesetzmäßig.
Es ist kein Wunder, daß der Lauf der religiösen Geschichte die Hohepriesterin zu einer Päpstin umbildete, denn von der Hohepriesterin ist eine Gefahr zu erwarten, sie bäumt sich gegen Gefangenschaft auf, sie schließt niemals eine unmöglich scheinende Möglichkeit aus.
Kurz, sie weiß intuitiv, daß das, was sie glaubt, wirklich auf Wahrheit beruht, die jedoch für die irdischen Sinnesorgane nicht sichtbar sein kann.
Die Päpstin denkt nur über das nach, was innerhalb der Natur Wirklichkeit ist - und darum ziert sich ihr Haupt mit einem Mondsymbol.
Isis, die Hohepriesterin, kennt den geöffneten Lotos als Hauptschmuck - das Symbol der Reinheit der Seele, die sich für das Licht öffnet.
In der linken Hand der Päpstin befinden sich der Schlüssel, mit dem Bart nach oben, und ein Kreuz; beide sind den Symbolen der Isis entgegengesetzt dargestellt, bewußt oder unbewußt.
Der Thron der Isis ist ein Quadrat, geschmückt mit dem Hah, dem Stab des Herzens oder der Ewigkeit; der Thron der Päpstin ist mit einer schwarzen Sphinx geschmückt, man nennt sie das Symbol für Geheimnis, aber sie kann auch das Symbol der Vernichtung bedeuten.
Nun wurden jedoch Schlüssel und Kreuz später hinzugefügt, die älteste Wiedergabe des mittelalterlichen Tarot sieht die Hohepriesterin noch primitiver: eine Päpstin-Figur mit einem geöffneten Buch und einem vollständig abgedeckten Hauptheiligtum.
Man kann dies im Zusammenhang sehen mit der Kopfbedeckung, die einige Religionen ihren weiblichen Mitgliedern vorschreiben.
Wenn die Einbildungskraft getötet wird, ist die Möglichkeit zu einer persönlichen Spiritualität absolut verpaßt.
So wie der alte mittelalterliche Tarot aus dem Magier eine Art Jahrmarktsgaukler macht, so macht er aus der Hohepriesterin
eine dogmatische Führerin, ein Wesen, das seine ursprüngliche Aufgabe nicht mehr kennt und stattdessen äußerlichen Gesetzen folgt.
Diese Karte trägt die Nummer 2 und den Buchstaben Beth (bayth).
Zwei ist die Zahl der Zusammenfügung, und in der Kabbalah ist der zweite Pfad, der Pfad des sich offenbarenden Geistes, der Weisheit.
Heilige Einbildung schenkt Weisheit, die sich nicht auf äußerliche Gesetze gründet, sondern sich ausschließlich nach der intuitiven Seelenkraft richtet.
Der hebräische Buchstabe Beth (bayth) symbolisiert ein Zuhause, das Eingehen in ein Zuhause des Geistes.
Die heilige Einbildung bringt den Magier in der Tat in ein Feld des Geistes, ein ursprüngliches Zuhause von göttlichem Denken.
Ohne diese Hohepriesterin gelingt es ihm nicht, eine Verbindung mit dem abstrakten Denkfeld zu bekommen.
Darum sitzt Isis auf dem Thron, der die Ewigkeit symbolisiert - Ewigkeit durch den Stab von Hah und Wirklichkeit wegen seiner viereckigen Form.
Einer, der Isis zu der Seinigen macht, besitzt den Schlüssel zu dem Geheimnis und der Weisheit aus dem Buch des Lebens.
Aber er spricht nicht darüber.
Isis sieht den Magier auf sich zukommen, und darum darf sie niemals verschleiert sein, denn der, welcher ihr begegnet, ist niemals ein Scheiternder, ein Lapidem Spitalauficummacher, sondern immer DER Magier. Isis läßt sich weder durch Wille noch durch Gewalt überwältigen, sie zieht sich zurück, löst sich in Nebel auf, so wie sich die Hohe Einbildung des Neophyten zurückzieht, der sich ausschließlich auf seinen Ego-Willen und seine Ego-Kraft gründet.
Nur die Päpstin fügt sich dem Willen des Egos, der Macht des Zauberers oder des Gauklers.
Sie geht denselben Weg wie er, und darum fehlen ihr die Gaben von Isis und der Neophyt kommt mit ihr nicht dorthin, wohin er eigentlich hingehört.
Päpstin und Zauberer werden zu egozentrischer Magie und egozentrischem Mystizismus, die schließlich ausarten in alle Formen von Okkultismus, schwarzer Magie und Exaltation.
Unter dem Druck der Päpstin zerbricht man die sichtbaren Begrenzungen und gelangt in das unsichtbare Gebiet DIESER Natur; hierdurch entstehen Hellsichtigkeit, Überempfänglichkeit, Mediumschaft und alle Formen von negativer Seherschaft.
Dann ist der Neophyt in der Tat der Sklave der magischen Kraft der Päpstin geworden, denn wieviele können sich schließlich von einer solchen vernichtenden Begabung befreien?
Die Hohe Einbildung ist diesem Menschen nicht nur entfallen,
sondern in ihm wurde Isis in die Päpstin verwandelt, und solches führt zu einer Versklavung wie bei den Drogen und schließlich zu allen möglichen Formen von Wahnsinn.
Der Magier ist niemandes Sklave, aber auch die Hohepriesterin ist niemandes Sklavin; sie sind einander gleichwertig und notwendig für ein Zusammenspiel.
Links und rechts - negativ und positiv sind zwei gleichwertige Pole,
und auf einem Einweihungsweg müssen sie beide eine harmonische Arbeit verrichten.
Aller Widerwille gegen das Rechte oder das Linke, die Verachtung oder sogar der Haß gegen die Frau oder den Mann kommen aus einer inneren Unausgeglichenheit und einer gänzlichen Unkenntnis sowohl der natürlichen wie auch der geistigen Gesetze.
Innere Unausgeglichenheit ist Angst; Angst infolge einer Erfahrung, in der man steckengeblieben ist, und in der man sich selbst einen Panzer geschmiedet hat.
Angst ist häufig eine unüberwindliche Schwelle auf dem Weg geistiger Einweihung; manchmal schenkt die Hohepriesterin dem Menschen Angst, weil sie ihn mit einer mikrokosmischen Vergangenheit konfrontiert, mit dem Rucksack des Toren.
Die Päpstin tut dies nicht, sie unternimmt ganz und gar nichts, sondern läßt sich von Impulsen, Instinkten leiten, die aus Machthunger geboren werden.
Die Hohepriesterin weiß, daß sie den Magier oder den Neophyten prüft, denn es kommt immer ein Augenblick, da die Heilige Einbildung zu einer inneren Enthüllung führt, und darum ist Isis unverschleiert, offenen Herzens: rein, aber schweigend.
Der okkulte Tarot hat die Päpstin noch mit allen möglichen okkulten Symbolen versehen - zuallererst muß der Neophyt diese lesen lernen, bevor er den Tempel betreten kann.
In der hermetischen Lehre ist Isis jedoch die Einfachheit selbst: Der Magier muß lediglich den Schlüssel in
Empfang nehmen und imstande sein, das Buch des Lebens lesen zu lernen.
Das Buch des Lebens ist wie das Geheimnis der ursprünglichen Natur; jeder Alchemist weiß, daß in diesem Geheimnis der Pfad der Einweihung aufgezeichnet steht.
Bei den Gnostikern wird die Natur nicht verdammt, sondern sie ist die zeitliche Tochter der göttlichen Natur und augenblicklich ist diese Tochter krank, so wie die Menschheit krank geworden ist und wegen Mangel an innerer Einbildung versteinert: Immer weiter wird sie auf den Weg der saturnalen Verhärtung hinaufgeführt, so daß sie schließlich in bezug auf den Geist "tot" sein wird.
Der spirituelle Mensch, der dies noch nicht sieht, möge in den offen darliegenden Seiten dieses Lebensbuches lesen LERNEN.
Was der Mensch nicht besitzt, kann er auch seinen Kindern nicht weitergeben, und so wächst augenblicklich eine Generation von Menschen ohne Einbildungskraft, von Geschöpfen ohne schöpferisches Vermögen heran, die Sklaven eines Gauklers und einer Päpstin.
Der Gaukler ist der Intellekt nebst allen seinen Auswüchsen; die Päpstin ist die vergiftete Einbildung, zu einem in Form erstarrten Bild geworden, eine tote Einbildung ohne schöpferisches Vermögen.
Die gnostische Philosophie kennt keine komplizierte Symbolik; sie kennt nur die Einfachheit, ein einziges Bild trägt eine Welt voll Weisheit in sich.
Sehen Sie sich nur den ägyptischen Tarot an, er ist rührend in seiner Einfachheit und durch seine Weisheit ins Schwarze treffend.
Alle komplizierten Theorien, Symbole, Deutungen entstanden auf dem okkulten Weg nach unten.
Situationen entfloh man durch Auswege; Prüfungen wurden mit Lügen beseitigt; die Wahrheit wurde unter einem Berg von Kleidern mit allen möglichen symbolischen Farben zugedeckt.
Aus dieser betrügerischen Imitation erwuchsen die äußerlichen Gottesdienste, die das äußere Auge mit ihrer Farbenpracht, ihrem Glanz, ihren Reichtümern und ihrer Prunksucht betören.
Der Okkultismus ist, in seiner heutigen Form, eine prahlerische Lehre; der Neophyt sucht Macht, Kenntnis, Besitz, Beweise seines graduellen Standes.
Was suchen der Tor, der Magier und Isis?
Der Tor weiß noch nicht, was ihm begegnen wird, aber er ist auf alles vorbereitet und darum ist er einfältig und arm und verlangt nichts für sich selbst.
Der Magier sucht nicht, er wartet.
Isis wartet ihrerseits auf den Klang des Magiers, auf das Zeichen seines Stabes, auf die Schwingung, die aus seinem inneren Warten ersprießt.
Dies nun ist das Stadium, vor dem allen großen Persönlichkeiten, den Feuer-Typen, graut: Der Magier wartet auf Isis, und Isis wartet, bis sich der Magier ihr zuwendet.
Alles dies geschieht in dem inneren Tempel, in der Stille des individuellen Heiligtums, das der Tor mit sich trägt, der ohne diesen Tempel nicht den Mut zu einem solchen Weg gehabt hätte: Dieses innere Heiligtum schenkt dem Magier die Kraft zum Warten und zur Übergabe an Isis, und Isis schenkt er die Offenherzigkeit und die Furchtlosigkeit, um dem Magier frei und offen entgegen zu blicken.
Sie fürchtet keine Gefahr, denn diese gibt es für sie nicht.
Alle drei Figuren werden von einer inneren Kraft - der kleinen Davidskraft - beschirmt, und sie lassen das deutlich erkennen, wie der intuitive Wahrnehmer feststellen kann.
Neben ihnen erscheinen die okkulten Tarotfiguren protzig, unwissend, oberflächlich und ziellos.
Wenn sich ein Mensch nach der Auflösung seiner spirituellen Probleme sehnt, dann hilft man ihm nicht dadurch, daß man ihm eine komplizierte Theorie vorlegt.
Ein solcher Mensch verlangt nach einer Befreiung aus seinem Gefängnis und manchmal hat er nur ein Wort, ein Vorbild nötig, um aus seinem Schmerz erlöst zu werden.
Es muß Friede schenkend und innerlich bereichernd gewesen sein, durch den Tempelgang zu gehen, in dem die Bilder des Tarot abgebildet waren, denn ein jedes Bild strahlt eine Schwingung aus, eine heiligende Schwingung, Seelen-Balsam.
So füllte sich der Raum mit einem Spannungsfeld, in dem der Neophyt den ganzen Rückweg in seiner Einbildung vor sich sah.
In einem solchen Augenblick - Sie wissen es sicherlich selbst - fallen Angst, Sorgen, Schwierigkeiten von dem Menschen ab und er wird zu dem Toren.
Dem Toren, der zu seinem Zuhause zurückkehren will, der allen Schrecknissen entgegenzutreten wagt, der Abschied nimmt von Besitz, Ehre, und Ansehen und der von diesem Augenblick an ein Einsamer, ein Einzelner wird inmitten einer Welt voller Besserwissern.
Für diesen Toren sind die Bilder des Tarot Anweisungen, Warnungen und Lehren.
In dem Magier erkennt die Hohepriesterin diesen Toren, und darum reicht sie ihm von fern den Schlüssel.
Die Päpstin weiß noch nicht, was kommen wird, sie ist abwehrend, hält alles fest, kurzum, sie zweifelt, und der Zweifler wirft sich auf äußerliche Macht, auf äußerliche Tatsachen, auf den Besitz des magischen Okkulten.
Der Magier besitzt inneren Adel, dazu braucht er sich nicht mit den äußerlichen protzigen Emblemen einer dogmatischen Macht zu schmücken.
Innere Kraft macht den Menschen nur allzu oft äußerlich arm - geistig aber reich.
Dieser geistige Reichtum, der der Welt als eine Torheit erscheint, gilt weder dem Gaukler, noch der Päpstin etwas, sie suchen beide etwas anderes.
Die Sphinx am Thron der okkulten Päpstin zeugt von ihrer gefährlichen Macht: Die, welche sich ihr übergeben, verschlingt sie.
In der Sage ist die Sphinx das geheimnisvolle Tier, das alle verschlang, die ihre Fragen nicht richtig beantworten konnten.
Die Päpstin stellt Fragen, fordert, so wie äußerliche Gesetze fordern und unterdrücken und notfalls vernichten.
Isis fordert nicht - sie schenkt.
Aber nur sie kann sich die Üppigkeit erlauben, offenen Herzens zu schenken, weil sie den Magier SIEHT.
Bei Isis gibt es keine Vernichtung, so wie sie auch ein Scheitern nicht kennt; alles an ihr ist festentschlossen, sicher, unantastbar; dieselben Eigenschaften also wie bei dem Toren, der festentschlossen seinen Weg wählt und wie bei dem Magier, der positiv wartet.
Der Zweifler kann etwas Neues entdecken, aber er ist noch NICHT der arme Tor, allenfalls versucht er einen Weg der Toren.
Aber wo sein Ende sein wird, das weiß er selbst noch nicht.
Der Tor des hermetischen Tarot weiß dies wohl.
Mögen Sie - Neophyt - dieselbe positive Entschlossenheit kennen!