Die Seerose
Glücklich jener, der im rechten Augenblick eine gleichleuchtende Seele findet.
Das Licht kommt aus dem Licht, und alle Lichter kommen aus Gott.
Wenn der Prometheusmensch die innere Sicherheit beinahe tastbar in sich fühlt, kann in ihm eine überwältigende Dankbarkeit aufwallen, die ihn mit Demut erfüllt.
Niemals zuvor ist er sich der inneren, ihn begleitenden und leitenden Kraft so sicher gewesen. Er meint, daß ihn nun nichts mehr zurückhalten könnte von seinem Weg zu den Höhen, und daß er durch nichts und niemanden mehr wird leiden müssen.
Er empfindet nur Mitleiden mit jenen, die sich an falsche Vorstellungen klammern oder die sich aus Angst von einem solchen mit inneren Reichtümern beladenen Weg fernhalten. Einsamkeit ist wie weggeblasen.
In diesem Menschen wohnt die unsichtbare, gleichwohl allgegenwärtige Macht, die ihn niemals mehr verlassen wird. Diese wird ihn durch alle widrigen Umstände hindurchlotsen. Jede Finsternis wird erleuchtet werden, jede Tiefe wird ihre weisen Lehren zeigen, und auf den unwegsamen Gipfeln wird der Wind ihm die Geheimnisse ins Ohr flüstern, auf daß er wisse, von den Seinigen umgeben zu sein.
In dieser Phase wird ihn das leuchtende Feuer umringen und ihn auffordern, Ihm ins Angesicht zu schauen, auf daß eine direkte Begegnung stattfinde zwischen dem inneren Funken und dem Kosmischen Feuer.
Der Mensch wird beweisen müssen, aus demselben Bronn zu sein, Licht aus Licht zu sein. Wenn weder Angst, noch Zweifel, noch egozentrische Unreinheit in ihm sind, wird diese Begegnung wie eine unbeschreibliche Bestätigung eines inneren Wissens sein.
Kein Unwürdiger wird dieses leuchtende Feuer anschauen können, ohne im selben Augenblick zu Asche zu werden, d.h. zurückgeworfen zu werden in die Täler der Materie, wo die Dämonen des Egoismus und der Ichbezogenheit sein letztes Fünkchen Licht stehlen werden, um damit ihr eigenes schwarzes Feuer zu nähren.
Es wird eine einschneidende Erfahrung werden. Eine Erfahrung, die nur wenige kennen und die ihnen unvergeßlich bleibt.
Die Überzeugung vom "Bewahren des Feuers" muß so stark im Pilger anwesend sein, daß er bereit ist, aus seinen eigenen Begrenzungen herauszutreten, sein eigenes Denken, Fühlen und Wollen zu verlassen.
Er muß hier wagen, die alte Sicherheit der Natur hinter sich zu lassen und nur mit dem weiterzubauen, was er in sich selbst vorhanden weiß.
Diese Erfahrung findet in seinem Haupt statt. Er nimmt nun Abschied vom rationalen Denken, das sich vielleicht bis zum letzten Augenblick weigerte, an die geistigen Sicherheiten zu glauben.
Welcher Rationalist glaubt an das Irrationale?
Was ist rational und was ist irrational?
Wer wird dies beurteilen können?
Ist nur das real, was der Mensch mit seinen stofflichen Sinnen feststellt?
Was ist Wahrheit?
Stützt sich das Sichtbare nicht auf das Verborgene?
Wer erkennt das Verborgene als das Fundament des Sichtbaren? Ist das Verborgene irreal, nur weil wir es nicht sehen? Prometheus bemerkt, daß es ihm nicht mehr schwerfällt, sich von den menschlichen Begriffen und Denkbildem zu lösen, um seine eingefahrene Meinung zu ändern, um seine Vergangenheit hinter sich zu lassen mit all ihren suggerierten Vorstellungen, die ein Teil von ihm selbst geworden sind.
Diese Loslösung bringt ihm nicht all jene Schwierigkeiten und Probleme, mit denen jene zu kämpfen haben, die sich selbst zur Spiritualität zwingen. Er kann mit Hilfe seines inneren Bewußtseins durch das ganze All reisen und die Erfahrungen in sein Wachbewußtsein hinübertragen.
Das Farbspektrum seiner Aura wird harmonisch und ruhig, und sein Wesen, innerlich und äußerlich, trägt das Gleichgewicht des Goldenen Schnittes, den sein Schöpfer ihm mitgab.
Der in sich selbst ruhende Mensch erkennt den Bronn seiner Ruhe. Der in sich selbst tragfähige und sich bewegende Mensch erkennt den Ursprung seiner Kraft. Der Funke erkennt sein Geburtsfeuer.
Es ist wie das Wiederfinden der Einheit von Seele und Geist, ein freudevolles Wiedererkennen. Der innere Funke feiert hier seine Einweihung. Er wird wiederum von seinem Feuer eingeweiht und empfängt aufs neue seine Gaben und Fähigkeiten.
Im Mittelalter sprachen die Katharer von ihren "Vollkommenen" als von jenen, die das Licht zu allen Zeiten und überall austragen konnten, wenn sie auch der Inquisition zum Opfer fielen. Sogar das Feuer am Fuße des Mont Ségur, in das die letzten von ihnen getrieben wurden, verbreitete, so wird erzählt, ein unirdisches Licht; und diese Erinnerung wird bis ans Ende der Zeiten lebendig gehalten, auf daß ihre Nachfahren niemals vergessen.
Kann eine Seelenerinnerung jemals ausgelöscht werden?
Kannst du, Sucher nach der unsterblichen Wahrheit und nach dem unvergänglichen Licht, jemals vergessen, daß du geboren bist aus dem Geist der Ewigkeit?
Warum tastest du in diesem Zeitlichen nach Erinnerungen an die Ewigkeit?
Warum sind deine Träume manchmal durchzogen von schmerzlichen Peinigungen, von ekstatischen Freuden oder von einem niemals nachlassenden brausenden Sucherdrang?
Weil auch du weißt, Prometheusmensch!
Weil auch du durch dieses himmlische Echo gerufen wurdest, das überall in der Natur widerhallt.
Die Vollkommenen gingen zu zweit 0in die Welt hinaus, zu Fuß, nichts anderes bei sich als das Johannes-Evangelium. Solch ein Prometheus kann allzeit allein gelassen werden mit seinem inneren Licht; er wird keine einzige Gefahr fürchten. Aber er erkennt auch seinesgleichen und wird sich um ihres Heiles willen opfern.
Wer wird diesen Menschen verspotten?
Doch nur jene, die ihn fürchten?
Allein mit seinem inneren Licht, wird dieser Mensch beweisen müssen, voll Vertrauen und ohne Furcht zu sein.
Eine solche Prüfung kommt immer.
Wenn dieser Pilger nicht weiß, was Vertrauen bedeutet, wer sollte es dann wissen?
Vertrauen ist keine Gutgläubigkeit, sondern: erkennen und sich verschenken. Wer sich selbst nicht geben kann, wird umsonst versuchen, den Geist zu finden.
Wer mißtraut, vertraut sich selbst nicht. Wer sich selbst nicht vertraut, kennt das innewohnende Licht nicht.
"Ein Mensch ist eben nur ein Mensch", so sagt man, aber wenn dieser Mensch durch das leuchtende Feuer getragen wird, ist er im Begriff, sich selbst zu entsteigen.
Wie sollte man es nicht wagen können, dem Geist zu vertrauen?
Darum: Wer mit diesem Geist in See sticht, kann aus sich selbst heraus die Bindung aufrechterhalten. Er wird niemals auf ein a-spirituelles Niveau herabsinken, einerlei, wohin die Umstände ihn führen mögen.
Wieviele Menschen sind auf diese geistige Weise selbständig?
Hört man sie nicht meistens klagen, daß die innere Kraft, die Beseelung oder der geistige Enthusiasmus ihnen so schnell wieder entgleiten?
Wie unüberwindlich könnte eine Gemeinschaft solcher Individuen sein?!
Aber wie fügt man Individuen zusammen?
Entscheiden sie nicht immer selbst, zu wem oder wozu sie gehören wollen?
Geistige Individuen lassen sich denn auch nur sehr schwer zusammenfügen, ihnen fehlt der Herdeninstinkt, doch erkennen sie sich gegenseitig und fühlen sich wirklich beglückt, ihresgleichen zu begegnen, wonach dann jeder wieder seines Weges ziehen kann. Die Bindung zwischen ihnen braucht dadurch keineswegs verloren zu gehen.
Im Gegenteil!
Für geistig Gleiche besteht weder Entfernung noch Zeit noch irgendeine andere äußerliche Trennung. Sie tragen jedoch alle das Prometheus-Element in sich, und das zwingt sie, einen bestimmten Weg zu gehen, den sie intuitiv selbst festlegen. Aber solch ein angeborenes Lichtelement trennt sie niemals voneinander.
Ist dieses dennoch der Fall, so ist ein spaltender Faktor an der Arbeit, der immer sichtbar wird, wenn Ichs mit unterschiedlichen Eigenbelangen an der Arbeit sind.
Der Geist verbindet, Er trennt niemals. Er verbindet die Funken Seines Feuers. Diese verbindende Kraft kümmert sich niemals um irgendein äußerliches Etikett, das den Menschen von der Gesellschaft, von Autoritäten oder von religiösen Organisationen aufgeklebt wurde.
Diese Menschen haben ihren sehr individuellen und dennoch gleichen Auftrag erkannt; und dieser kann unterschiedliche Aspekte aufweisen, doch niemals ist er in sich selbst widersprüchlich.
Sie haben die Verantwortung für ihre heutigen Umstände, in denen ihre Seele verkümmert, auf sich genommen, und sie sind bereit, etwas zum Wohlergehen ihrer Nächsten zu tun. Was immer dies sein mag!
Sagt jemand, der eine Aufgabe auf seine Schultern gelegt bekommt: "Nein, diese will ich nicht, ich will eine andere, die mir besser gefällt?!" Diese Menschen kann man überall auf der Welt finden; sie tun, was ihre Hände, Herzen und Häupter zu tun finden.
Wird der eine Prometheusmensch den anderen kritisieren, ihn verachten, weil seine Arbeit "minderwertiger" wäre?
Welch eine Dummheit wäre dies und welch ein Zeugnis von Verständnislosigkeit, geistigem Hochmut und geistiger Unwissenheit.
Prometheusmenschen lassen sich nicht zusammentreiben durch die Peitsche des Dogmas und des Pflichtbewußtseins, sondern sie kommen und gehen, wie sie selbst es wollen. Weil sie ihre Verantwortung spüren, wird man sie selten an Stätten finden, wo ihr Ego gehätschelt werden könnte, wo sie hohe Positionen erlangen oder wo sie nichts anderes zu tun brauchten, als ihr verwundetes Ego zu pflegen und Träume zu träumen über die eventuelle Wiederherstellung ihrer persönlichen Macht.
Prometheusmenschen findet man dort, wo man sie nötig hat.
Und nötig sind sie dort, wo Menschen geistig hungern und wo Unwissenheit zu einer Qual geworden ist.
Der Mensch, und vor allem die Seele, die einmal mit dem Licht oder dem Kosmischen Feuer in Berührung gewesen ist, vergißt eine solche Erfahrung niemals. Doch muß sich der Mensch klar darüber sein, daß solch ein Vorrecht Konsequenzen mit sich bringt und daß er zu denen gehören wird, die selbst Verantwortung tragen, die sich nicht länger verbergen können und dürfen in der Masse, in der Herde, die nicht selbständig denkt, sondern die für sich denken läßt.
Die erste Konsequenz ist die Trennung zwischen den Wegen seiner früheren Freunde und dem seinigen. Die breit ausgetretenen Wege beginnen, ihm zu widerstreben.
Es gibt viele Menschen, Sucher, die wegen dieser Konsequenz den an sie gerichteten Prometheus-Ruf unbeantwortet ließen. Das einzige, was dann - möglicherweise - in ihnen noch übrigblieb, ist eine vage Erinnerung, die unter bestimmten Umständen ganz plötzlich wieder nach oben kommen kann.
Das Allertragischste wird es sein, wenn auch diese Erinnerung stirbt. Ihr schwaches Echo verstummt im Getöse der übertönenden Stimmen der Masse, der Herde, die Sicherheit, Bequemlichkeit und einen ausgetretenen Weg verlangt.
Mit sich allein sein zu dürfen, ist für den Prometheusmenschen in dieser Phase eine Wirklichkeit, die ihn absolut nicht erschreckt. Er braucht keinen Schutz mehr von außen, weil er diesen von innen her aufgebaut hat.
Mit sich selbst konfrontiert zu werden, ist eine erste Forderung an den Prometheusmenschen, und gerade dies ist es, was viele fürchten.
Ein wirklich "vorausschauender" Pilger weiß, was seiner wartet; und warum sollte er sich dann fürchten oder protestieren, warum wider den Stachel löcken, warum bitter und enttäuscht sein, wenn die gerechten Prüfungen kommen?
Ist er besser als jene, die ihm auf diesem selben Weg vorangegangen sind?
Wenn man enttäuscht wird, so beweist das, daß Erwartung und Verwirklichung nicht miteinander im Einklang waren?
Wo liegt der Fehler?
Immer in dem erwarteten Resultat. Es fehlt diesem die reale Beziehung und vor allem das Erkennen. Das "Voraussehen" hat versagt, und das beweist einen Mangel in bezug auf die Prometheusgabe. Wer nichts erwartet, sammelt keine Enttäuschungen.
Erwarten ist etwas ganz anderes als Hoffen. Das Erwarten geht meistens parallel mit den Befriedigungen oder Begierden des Egos. Hoffnung läßt leben!
Erwartungen können Verbitterung bringen, und das bedeutet den geistigen Tod des Herzens und eine sichere Selbstvernichtung.
Das Licht oder das Allgute freut sich, wenn ein Mensch sich freimacht aus den Regungen und Instinkten der Herde. Aber die Führer der Herden sehen ihn als Feind an, als eine Gefahr oder Gegenkraft. Er unterscheidet sich von dem umherirrenden, jämmerlich um Hilfe rufenden Schaf dadurch, daß er sich für einen anderen Weg entschlossen hat.
Schafe, die die Herden hassen, aus denen sie ausgebrochen sind, sollten lieber in diese Herde zurückkehren und ihren Haß sterben lassen, anstatt ihn auf ihre ursprüngliche Herde auszulassen. Denn was ist bindender und tiefer eingreifend als eine Haß-Liebe-Bindung?
Ein geistig selbständiger Mensch haßt nicht, er ist frei von solchen würgenden Banden, die ihm nur schaden können.
Wenn der Prometheusmensch nun, in dieser fünften Phase, das Gefühl oder die Vorstellung hat, daß er nun endlich vom Licht umgeben ist, das ihn wie ein fünffältiger Auferstehungsstern umhüllt, wird er sich nicht in ein ruhiges Eckchen zurückziehen, wo er sich mit der fortwährenden Betrachtung seiner eigenen Reinheit und seines Lichtes beschäftigen kann.
Im Gegenteil!
Dann erst geht er hinein in die dunklen Täler, gerade dann betritt er die sumpfigen Täler, wo so viele im Schmutz umkommen. Dieser Morast wird ihn nicht wirklich beschmutzen können. Er sucht diesen nicht um seiner selbst willen, sondern um die sogen. Ausgestoßenen, die in den Augen der Gesellschaft nicht "Vorangekommenen", die oft beginnende Sucher sind, zu finden.
Die Reichen, die geistig und materiell Gesättigten, kommen nicht und suchen nicht. Wehe dem, der sich reich dünkt, und es nicht ist. Der Selbstbetrug macht aus ihm ein gut bewachtes Schaf, ruhend in einem luxuriösen Schafstall. Dennoch bleibt er ein Schaf, im Prinzip nicht anders als jene, die in den Feldern grasen und sich mit einem rauhen hölzernen Stall begnügen müssen. Hat es der Vogel im goldenen Käfig besser als der Vogel im eisernen Käfig?
Sich selbst zu vergessen, bedeutet, einen warmen Stall zu verlassen, wie immer dieser aussehen mag; und dies nicht nur um das Götterfeuer zu holen, sondern vor allem, um es danach jenen zu bringen, die Licht brauchen, bis daß auch sie ihren Prometheusweg deutlich vor sich sehen werden.
Kann ein Mensch mehr tun als die Menschen auf ihre eigene Prometheusaufgabe aufmerksam zu machen?
Er kann ihnen einen Stoß in die gute Richtung geben; aber gehen muß doch jeder seinen Weg selbst?
Ist der Pfad-empor nicht zu schmal, um nebeneinander gehen zu können?
Und ist er nicht viel zu schmal für die Masse?
Welcher Prometheusmensch hat niemals die Glut eines erwärmenden, leuchtenden, stimulierenden Feuers erfahren?
Und welcher Prometheus sollte eine solche Erfahrung nicht festhalten, beständigen wollen?
Und bereit sein, dafür auch die entsprechenden Konsequenzen auf sich zu nehmen?
Jede wahre Konsequenz ist die Frucht eines inneren Entwicklungsprozesses und hat nicht den schlechten Beigeschmack, den dieses Wort im Laufe der Jahrhunderte bekommen hat.
Was ist eine Konsequenz?
Doch nichts anderes als ein nach außen tretendes Resultat, mit dem man bestimmt keine Mühe hat, da man es in einem bestimmten Augenblick als etwas Selbstverständliches ansieht.
Das leuchtende Feuer, die fünfte Phase, bringt die Konsequenz mit sich, zu beweisen, wer man ist und austeilen von dem, was man hat, ganz auf die eigene Art und Weise, entsprechend dem eigenen Wesen.
Man kann von der Hand nicht verlangen, daß sie läuft, oder vom Fuß, daß er denkt. Man darf von sich auch nicht verlangen, den Auftrag des Hauptes auszuführen, obwohl man deutlich das Herz ist.
Es muß immer Harmonie und Einheit zwischen denen herrschen, die gemeinsam einen großen Auftrag auszuführen haben, wobei jeder seine spezielle Arbeit zu verrichten hat.
Laß die Hand nicht schelten auf den Fuß, weil er anders ist; laß das Auge nicht verächtlich über das Ohr sprechen.
Gehört nicht alles zusammen?
Das ist die entscheidende Frage. Verfluchen sich die unterschiedlichen Aspekte nicht oftmals gegenseitig und schaffen dadurch ein monströses Ungeheuer, anstatt einen harmonischen Körper?
Jeder Prometheus erfährt täglich eine neue Lebenskraft. Er erkennt, wie die alten Dinge sich erneuern und sucht folglich nicht nach dem Neuen, sondern nach dem Erneuern.
Das Neue ist immer das Uralte in einem neuen Gewand, das unsere Aufmerksamkeit weckt, so daß wir nicht achtlos daran vorbeigehen.
Die fünfte Phase erleuchtet alle alten Dinge und wiedererschafft sie; und das ist ein Weg ständiger Überraschungen, die uns unsere große Unwissenheit immer mehr bewußt machen. Die fünfte Phase bringt auch eine Veränderung in bezug auf die Art der Erfahrungen.
Bis zu der fünften Phase ist Prometheus damit beschäftigt, das Feuer zu holen, als eine Umhüllung, Beschirmung, innere Kraft. Nach der fünften Phase wird es dann darum gehen, das Feuer zu bringen.
Wie es auch aus den Mandalas des ursprünglichen Tarot ersichtlich ist, bringt die fünfte Phase das Sein als Hohepriester. Es ist ein Sich-Hüllen in Licht, ein Verweilen auf dem Berg, wonach dann die sechste Phase die "Wahl" oder die "Entscheidung" und das Nicht-mehr-zurück-Können bringt.
In der fünften Phase läßt sich der Pilger binden. Er bringt seinen Holunderzweig in das Feuer und begreift den vollen Umfang seines Auftrages.
Kann man von einem Menschen vor dieser Phase solch eine vollkommene und endgültige Wahl treffen lassen?
Wäre das nicht grausam?
Bis zum jetzigen Augenblick bestand stets die Möglichkeit, seinen Namen "Prometheus" zu verlieren, durch Prüfungen, Eifersucht, Fallstricke oder durch Einflüsterungen, wie z.B.: "Warum solltest du dich abmühen, warum gerade du, was bildest du dir ein, wer du bist?"
Nachdem man sich die Aureole der Gerufenen hat anlegen lassen und den Holunderzweig entzündet hat, beginnt der Weg zurück ins Tal.
Die Aufmerksamkeit der Angreifer, jener, die ungern sehen, wie ein Prometheus sich um die Unwissenden bemüht, richtet sich nun auf die Holunderfackel, die Wissen, Licht und Erlösung für jene bedeutet, die man unwissend und in Dunkelheit gefangenhalten will.
Dein Licht wird verspottet werden, Prometheus!
Deine "Berufung" wird verhöhnt werden!
Dein "Auftrag" wird in den Schmutz gezogen werden!
Darum wird deine Aufgabe nun in erster Linie eine beschirmende sein. Als ein wahrer Prometheus wirst du alle Aufmerksamkeit auf das Licht richten müssen, das du auf diesem schweren Weg-in-die-Tiefe mitnimmst.
Es ist gut, daß du so viel Vorbereitung hinter dir hast, denn du darfst keinen Augenblick lang die Aufmerksamkeit auf dich selbst lenken, auf das, was mit dir selbst geschieht.
Ob du alles verlieren oder alles gewinnen wirst, ob dein Ego Schmerzen leiden oder aber Freuden fühlen wird, spielt absolut keine Rolle. Das einzig Wichtige ist das Licht, das du im Tal da unten entzünden willst.
Laß dich nicht ablenken, laß deine Fackel nicht erlöschen. Viele warten auf sie, und das weißt du, Prometheus!
Konzentration auf das Licht ist nun das Wichtigste; und du wirst bemerken, daß deine Füße von sich aus den Rückweg finden.
Alle Ängste, Sorgen und Probleme fallen fort.
Wer Probleme erschafft, lebt sein Ego darin aus. Konzentration auf das Licht und Selbstopfer um der Nächsten willen, beseitigen alle Schwierigkeiten; sogar die sogen. geistigen Schwierigkeiten.
Was sind "geistige Schwierigkeiten"?
Sind dies nicht versteckte Ego-Wunden?
Wer um seiner selbst willen weint, achtet die Seelentränen seiner Nächsten nicht. Wer verlernt hat, über sich selbst zu weinen, dessen Tränen sind wie Perlen, die er gerne austeilt. Mögen jene, die vom Geist beseelt sind, ausrufen: "Das Licht ist mir alles", und mögen sie einander zuhören, denn sie haben ein verbindendes Glied: das Erkennen und Durchbohren des Scheins.
Wer von ihnen wird sich festklammern an äußerliche Formen, Gebäude, Kirchen, Tempel, Grade, Belohnungen, Wichtigkeit in den Augen der Unwissenden?
Wer von ihnen wird sich auf die Brust schlagen und sagen:
"Hör' auf mich, ich weiß es?"
Gibt es auch nur einen Menschen, der alles weiß?
Haben nicht viele ein wertvolles Stückchen des großen Mysteriums, und sind sie nicht auf der Suche nach einem Anschlußstück, um dieses große Puzzle zu vollenden?
Warum sollte nicht dein Nächster die zu deinem Puzzlestückchen passende Ergänzung haben, und warum sollten sich nicht beide über diese Ergänzung freuen?
Geht es nicht um das allumfassende Ganze?
Das leuchtende Feuer bestätigt den Auftrag des Fackeltragens.
Die Fackel des Holunderzweiges ist das Symbol von Mitleid und Barmherzigkeit. Als Medizin ist der Holunder gut für Menschen, die ihre Enttäuschungen, Bitterkeiten und Abneigungen hinunterschlucken.
Mitleid ist ein Aspekt der Liebe.
Einer, der sich selbst nicht beachtet um seiner Nächsten willen, tut dies aus Mitleiden, einerlei, auf welcher Ebene er dies tut. Er denkt weder geistig noch körperlich an sein eigenes Heil. Das Heil- oder Heiligwerden ist keineswegs so etwas wie eine Belohnung nach einem sogen. "guten" Leben. Es vollzieht sich an jemandem ohne dessen Zutun, als die logische Folge seiner Lebenseinstellung.
Wer ruft: "Ich bin heilig", ist bei näherem Hinsehen meistens unheiliger als der, der sich selbst für unheilig hält.
Menschen, die Mitleiden haben, fragen sich nicht, wo sie dieses Mitleiden, diesen Liebesaspekt, austeilen sollen, sondern sie fragen sich nur, wie sie ihn am besten austeilen können.
Prometheusmenschen, die einander verstehen, fragen sich nicht gegenseitig, was sie tun, sondern, wie sie dieses tun. Daß sie dasselbe beabsichtigen, steht von vornherein fest.
Daß sie gegenseitig ihre Arbeit und ihre Auffassungen in bezug auf diese Arbeit respektieren, versteht sich ebenfalls von selbst. Schlimmer ist es, wenn einer helfen könnte, aber es nicht tut, weil er sich zu "fortgeschritten" oder zu "heilig" vorkommt.
Das leuchtende Feuer begleitet Prometheus zurück in das Tal; und seine schwerste Aufgabe wird es sein, diese Fackel brennend zu halten, denn derer, die sie löschen wollen, sind viele.
Arme Unwissende, die mit Schmutz nach der Flamme werfen, die ihnen Das Wissen hätte vermitteln können.
Arme Dumme, die sehend blind und hörend taub geworden sind, wieviel Schönes entgeht ihnen.
Arme Arrogante, die ein kaltes und selbstvernichtendes Licht umklammern; ihr Erwachen wird eine unentrinnbare Selbstdemaskierung werden, hart und schmerzlich.
Kümmere dich um keinen von ihnen, Prometheus, sondern bewahre und bewache dein Licht!