Vorbereitung auf die Feuerprobe

Der Holunder

Prometheus schnitt seine Fackel daraus; Jesus wurde an seinem Holz gekreuzigt; Judas erhängte sich daran.

Symbol der Blüte: Laß deine Triebe niemals eine Freundschaft überwuchern.

Nicht jeder wird den Pfad der verborgenen Weisheit gehen wollen, so daß all jene, die mit einem solchen Pfad in Berührung kommen, ziemlich deutlich auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können. 

Sie sind die typischen Vertreter unserer Aquarius-Ära mit ihrem Drang nach Freiheit, Individualität und dem Wiederentdecken des eigenen Selbstes. 

Das Untergehen in der Masse und das gedankenlose und kritiklose Befolgen von Aufträgen gehört deutlich zu der auslaufenden Fische-Ära. 

Und jene, die sich hiervon noch nicht trennen können, haben den Anschluß an die Aquariuszeit aus dem einen oder anderen Grund verpaßt. 

Der Mensch des 20sten Jahrhunderts möchte selbst geistige Erfahrungen sammeln und diese praktisch anwenden, so daß auch seine Nächsten etwas davon haben und begreifen, daß in seinen Worten die Kraft der Realität liegt. 

Er ist nicht der Mensch, den man zwingen kann, einen bestimmten Weg zu gehen, indem man ihm mit Angst, Hölle oder Verdammung droht. Er möchte nichts anderes als austragen, was er erfahren und innerlich vernommen hat. 

Hierdurch bekommt seine Lebensauffassung einen vollkommen neuen religiösen Aspekt. 

Wenn er sich von der Geborgenheit der Masse befreit, von der Herde der braven Anhänger, die gehorsam und untertänig ihrer Autorität folgen, geht er das Risiko ein, sehr persönlich mit der Kraft des geistigen Lichtes oder Feuers konfrontiert zu werden. 

Dies bedeutet, daß er, ohne sich hinter seinem Führer oder hinter seinen Nächsten verbergen zu können, notgedrungen selbst die Führung über sein Leben wird erlangen müssen, daß er die Täuschungen, das eigene innere verräterische Wesen und das höllische Feuer des Zweifels, der Trägheit, Mutlosigkeit, Lügen und der Bitterkeit wird überwinden müssen. Er wird all diese tief geistigen Berührungen umwandeln müssen in ein unirdisches Feuer oder in eine himmlische Energie, die ihn schließlich unüberwindlich macht. 

Darum kann er mit Prometheus verglichen werden, jener starken mythischen Gestalt, die alle Mühen und Hindernisse überwand, um das Himmelsfeuer für die im Tal der Schatten lebenden Nächsten zu holen. 

Um immun zu werden gegenüber Vergiftungen, muß man seinen Organismus täglich durch sehr kleine Gaben Giftes hierauf einstellen. Durch die Gegenwart einer inneren Flamme vom großen geistigen Feuer kann man sich mit dem kosmischen Feuer verbinden, ohne Angst haben zu müssen vor der sogen. geistigen Vernichtung oder dem "Durchbrennen", von dem einige Lehren sprechen. 

Das Gleiche braucht das Gleiche niemals zu fürchten! 

Die Mythe von Prometheus ist meistens falsch ausgelegt worden. So betrachtete man seine Fesselung an den Felsen, während ihm "ein Adler die Leber auspickte" , als die angemessene Strafe für eine übermütige Tat: das Leugnen der Autorität des Zeus. 

Kann man dann nicht ebenso die Kreuzigung von Jesus als die angemessene Strafe für ein unrichtiges Verhalten ansehen? 

Hierbei wird jedoch vergessen, daß beide legendären Gestalten eine innere Verwandtschaft besaßen zu allen anderen Großen aus Mythe und Sage und daß sie alle ihre sogen. Strafe oder Vergeltung voraussahen. 

Der Name "Prometheus" bedeutet: Er, der vorausschaut oder vorausdenkt, im Gegensatz zu seinem Bruder "Epimetheus": 

Er, der zurückblickt oder -denkt. 

Beide zögerten nicht, ungeachtet aller Widerstände, ihre Aufgabe für die Menschheit zu vollbringen. 

Der individualistische Aquariusmensch ist außerordendlich geeignet, die Aufgabe von Prometheus auf seine Schultern zu nehmen, wenn er dieselben Voraussetzungen erfüllt wie sein mythischer Vorgänger. Und dies bedeutet, daß er "vorausdenken" muß, wie es von allen selbständigen und bahnbrechenden Menschen erwartet wird. 

Darum ist dieses Buch für jene bestimmt, die aus der Vergangenheit gelernt haben, die sich nicht mehr im Schoß der Masse verbergen wollen und die vollkommen erkennen, daß eine vollständig andere und vor allem erneuernde Phase der Menschheitsentwicklung für all jene begonnen hat, die den Namen "Prometheus" ohne zu zögern in ihr Herz schreiben wollen, obwohl sie die Gefahren und die Schwierigkeiten, denen sie auf ihrem Weg begegnen werden, im voraus wissen oder sehen. Ihr Wissen ist die Frucht einer bewußt durchlebten Vergangenheit, im jetzigen und in voraufgegangenen Leben. 

Sie sind endlich in einem neuen Morgen erwacht, dessen Licht niemals untergeht, und sie haben ihre Prometheus-Aufgabe vollkommen akzeptiert. 

Akzeptieren heißt, einer Sache ins Auge zu sehen und die beste Möglichkeit zu suchen, um Harmonie zu erlangen. 

Um das Schwerste in seinem Leben akzeptieren zu können, ohne daß irgendwelche Bitterkeit, irgendwelcher Widerstand oder irgendeine Enttäuschung im Herzen zurückbleiben, muß man ein Prometheus sein, ein Vorausschauender. 

Dem Voraussehen oder -wissen, der gedanklichen Bewältigung der kommenden Dinge, folgt dann nur noch das Konkretisieren der abstrakten Bilder. 

Der Pfad der verborgenen Weisheit ist das abstrakte Bild eines Pfades geistiger Realisierung im täglichen Leben. 

Jeder Prometheusmensch wird ein bewegtes Leben haben. Doch könnte er sich etwas anderes wünschen? 

Die Monotonie des Alltagstrottes ist wie ein ständiges Zu-sich-Nehmen von Brei anstelle von fester Nahrung. 

Wer sein geistiges Leben selbst in die Hand nimmt, ist ein geistig Erwachsener, der reif für feste Nahrung ist und die Speise des Kleinkindes von sich weist. 

Der Pfad verborgener Weisheit bleibt für Unwissende verborgen, ist ein ständiger Verdruß für geistig Unerwachsene, eine fortwährende Peinigung für Scheinheilige und macht aus Theoretikern psycho-somatisch Gestörte. 

Aus diesem Grunde darf niemand gezwungen werden, einen solchen verborgenen Pfad zu betreten. 

Der Gute Anfang liegt im Erkennen und Beherrschen der individuellen Freiheit, so daß diese dem Betreffenden nicht zu einem Urteil wird. 

Um den Berg der Berge, den Olymp der Götter, besteigen zu können, darf der Pilger keine Zeit mehr verlieren mit komplizierten Philosophien und schönen Theorien, in denen er sich selbst vergessen kann und die aus seinem geistigen Weg eine Art Hobby machen, in das er vor sich selbst fliehen kann. Wer vor sich selbst flieht, wird auch vor der Konfrontation mit der Seele oder mit dem Herzen seines Nächsten fliehen und ebenso vor Gott oder dem Geist, der tief in ihm Seine Wohnstätte hat. 

Selbsterkenntnis ist der Beginn der Gotteserkenntnis und eine gute Voraussetzung, seinen Nächsten kennenzulernen. 

Darum wird ein Weg verborgener Weisheit den Pilger fortwährend verändern. Er wird tiefe Schatten und lichtübergossene Horizonte entdecken. 

Er wird entdecken, daß er die Wärme und das Licht der inneren Flamme mit jenen wird teilen wollen, die hungern oder die dieselben Erfahrungen kennen.

Er wird sich von allen suggestiven Einflüssen befreien, die ihn an seine eigenen Peinigungen fesselten und die er verherrlichte, und er wird entdecken, daß "Geben seliger ist als Nehmen", und so wird er aus und von sich selbst befreit werden, ohne hierfür komplizierte Methoden und Überlegungen anstellen zu müssen. 

Der Prometheusweg ist ein Auftrag für die Starken, für jene, die weder Angst vor sich selbst noch vor der Meinung der Masse haben noch sich von autoritären Mächten einschüchtern lassen. 

Die "Leber eines solchen Prometheus wird ausgepickt werden", d.h. es wird ihrer viele geben, die von seinem Leben, seiner "Leber" - die Leber ist die Zugangspforte für ätherische Kraft - werden profitieren wollen. Aber diese Leber oder dieses Leben wird von jenem einen unantastbaren Quell von Licht und Kraft genährt, so daß seine Lebens- oder seine "Leberkraft" unangetastet bleibt. 

Der ernsthafte Prometheus weiß, daß er einen einmaligen Entschluß gefaßt hat: "Besteigst du den Olymp oder nicht?" 

Dann ist es aus mit einem Sich-Verstecken hinter Entschuldigungen und Ausflüchten und müssen die Konsequenzen akzeptiert werden. 

Es gilt nur noch das Ja oder das Nein. 

Wenn das Ja aus dem Herzen aufwallt, kommen die Prüfungen. Jeder Pilger, jeder Schüler wird geprüft. Nicht durch einen Führer, einen Mitmenschen oder die eine oder andere Organisation, sondern durch das Leben selbst. 

Das, was sich in unserem Herzen abspielt, bestimmt unser Leben, unsere Umstände, unser Handeln, unsere Gedanken. Unser Leben, das beherrscht ist von unsichtbaren Verbindungen mit kosmischen Kräften, zwingt uns, Feuerproben zu durchstehen. 

Innerhalb dieses zwölffachen zodiakalen Gefängnisses der Natur wird ein Prometheus zwölfmal vor eine solche innere Feuerprobe gestellt, ehe er den Holunderzweig in die Hand nehmen kann, um ihn am Feuer des Olymp zu entzünden. 

In der Signaturenlehre gilt der Holunder als der Baum, der Menschen von ihren Ängsten befreien kann, der Saft der Rinde vertreibt böse Einflüsse, ein aus den Blüten hergestellter Trank reinigt von allen Arten von "Vergiftungen", auch von geistigen. 

Aber um den Holunder ertragen zu können, muß man ein geistig starker Mensch sein, denn - so sagt man - "abends im Schatten dieses Baumes zu verweilen, kann tödliche Ohnmachten verursachen". 

Prometheusmenschen erkennen einander als Gleiche; kein einziger Zwang von außen kann sie zu solch einem Erkennen forcieren, denn sie sind die Individuen, die Einzelnen, die ihr Leben für die Nächsten geben wollen. 

Sie beachten weder Spott noch Schmeichelei, sie zählen weder die Rückschläge noch die Überwindungen: Ihr Blick ist auf den Gipfel des Götterberges gerichtet, auf dem das Feuer brennt, das ihren Holunderzweig zu einer niemals verlöschenden Fackel machen muß. 

Einmal aus dem Licht der Lichter geboren, bewahren sie ihre Seele als eine leuchtende Flamme, die sie auf ihrem Weg zu den Höhen begleitet, auf denen das unvergeßliche Licht um einer dunklen Welt willen brennt. Mögen viele solcher Fackeln zur Ermutigung all  jener brennen, die meinen, daß ihr Leben nun in eine nächtliche Dunkelheit gehüllt sei. 

Erinnere dich deines Namens, Prometheus, widerstehe dem Hohn der Massen und suche eifrig nach deinem Holunderzweig. Und beginne mit dem Guten Mut.

©1970-2013 Henk und Mia Leene