Das reinigende Feuer

Der Mohn

Die Freundschaft und die Ehrlichkeit werden geprüft.

Die Reinheit ist für die Seele das, was die Sauberkeit für den Körper ist.

Ein Prometheus hat das Verlangen, seinen flammenden Holunderzweig vom Olymp hinunterzubringen in das Tal, wo Unwissende in dunkler Unbewußtheit Taten begehen, die sie immer stärker an die Aussichtslosigkeit eines fortwährenden Auf- und Niederganges binden. 

Feuerträger werden jedoch bei weitem nicht immer mit einem erfreuten Willkommensgruß empfangen, da der Eintritt von Licht in eine unreine Atmosphäre Dinge beleuchtet und freilegt, die lieber verborgen blieben. 

Dasselbe geschieht im Menschen, der mit einer ernüchternden Wahrheit konfrontiert wird. 

Bindungen mit niederen Gefühlen, mit instinktiven Begierden und egoistischen Zielen verursachen einen derart dichten astralen Nebel um die Betreffenden, daß man nicht mehr in der Lage ist, heilige, geistige oder leuchtende, edle Dinge zu erkennen. Der Blick nach außen ist dann buchstäblich durch die umgebende Unreinheit und Lebenssituation verdunkelt. 

Die Existenz eines sagenumwobenen Heiligen Berges, eines Olymp, Mont Salvat, Meru, ist für viele zu einer Phantasie geworden, an die nur mystische Schwärmer glauben. 

Die Vorstellung, ein "Göttersohn" zu sein, weisen sie mit geringschätziger oder zynischer Bewegung von sich, in der alle Unreinheit und menschliche Unwürde zum Ausdruck kommt. Sie suchen ihr Heil im irdischen Morast, den Rücken krumm vom vielen Bücken nach irdischen Schätzen, der Blick geheftet auf das Unten, während am Himmel die Sonne strahlend den Geist vergegenwärtigt und vorüberziehende Wolken gleich den grauen Gedanken sind: vorübergehende Schleier, die die Schönheit des leuchtend Heiligen für einen Augenblick verbergen, die jedoch immer wieder vom Wind verjagt werden, der die ätherischen Lebenssamen auf seiner Reise mit sich führt, Hoffnung pflanzend, wo Verzweiflung war. 

Die Welt ist unwissend und mutlos geworden durch die eherne Herrschaft der egoistischen Mächte, die aus Menschen Sklaven machten und sie daran hinderten, im Wissen zu erwachen, die ihre Begierde nach Besitz stimulieren und sie auf diese Weise niederzwingen in den angeblich Gold verheißenden Morast, dem aber der warme Glanz des geistigen Goldes fehlt. 

Als die Begierde nach materiellem Gold den Menschen zu regieren begann, verschwand aus seinem Herzen und aus seiner Seele die Erinnerung an das heilige Gold, aus dem Weisheit geboren wird und aus dem "goldene Herzen" geschmiedet werden. Der Mensch verlor seinen Glauben an eine "andere Welt", eine Welt menschlicher Würde, Spiritualität und eines aufrechten Glaubens, der frei heranwachsen kann, ohne durch die Peitsche religiöser Herrscher beschnitten zu werden. 

Schmerz, so lehrte man, sei die Voraussetzung für Sündenvergebung; und folglich ertrugen die Unwissenden die Vernichtung durch die Aussichtslosigkeit und die Entkräftung. Wer auf diese Weise durchdrungen ist von der eigenen Minderwertigkeit und tief gebeugt geht unter dem Bewußtsein der eigenen Schuld, verlangt nichts, hält sich sehend blind, rebelliert nicht, sondern läuft blind herum in seiner Tretmühle des täglichen Einerleis. 

Doch überall inmitten der dumm gehaltenen Massen befinden sich Prometheusmenschen, Menschen, die sich ihre Urerinnerung nicht töten lassen, Menschen, die innerlich gedrängt werden von einem aus sich selbst lebenden Funken, Menschen, die eine lebendige Seele besitzen, in der das "Quecksilber" der Alchemisten lebt, ein ungreifbares Element, aus sich selbst leuchtend und brennend, das sie immer wieder anspornt, sich nicht auslöschen zu lassen, sich nicht zu Robotern eines scheinbaren Wohlstandes machen zu lassen, der in Wahrheit das Lebensprinzip erwürgt und dadurch am Ende ausschließlich Existierende, Vegetierende und Imitierende zurückläßt. 

Es gibt Menschen, die mehr nötig haben als nur Brot und Spiele. Körperliche Übersättigung führt zu geistiger Übersättigung. Heiligenbilder können den Menschen seinen wahren Auftrag vergessen lassen, der lautet, heilig zu sein oder heil zu werden. 

Interessante Lehren und materielle Werte können ihn in äußerliche Formen verstricken, wodurch die innere dahinsiechende Form unbeachtet bleibt. 

Die äußeren Bedeckungen müssen suggerieren, daß darunter ein "Schatz" verborgen sei. Lehrt jedoch die Menschheitsgeschichte nicht, daß Weise sich niemals mit Äußerlichkeiten schmücken und daß viel eher Armut ihr Los ist?! 

Wer wird sich betrügen lassen durch ein solches Zur-Schau-Stellen von Schein und Scheinwerten? 

Leider fast alle, ausgenommen jene, die von ihrer inneren Flamme geführt werden. Schimmernde Pracht und Prunk bergen selten Heiligkeit in sich. Es ist die Einfachheit, die die Weisen ziert. 

Wer würde es wagen, in einer intellektuellen Zeit wie der unsrigen, in einer Wohlstandsgesellschaft, in der jeder nach dem jagt, was sein Nächster besitzt, ein Bekenntnis zur Einfachheit abzulegen? 

Einfachheit und Wahrhaftigkeit sind zwei Kinder aus einem Nest. Wahrhaftigkeit ist ein Wort, das eine verborgene Kraft enthält, eine Kraft, die nur den wahren Weisen offenbart wurde, wie die Alten sagten. 

Das Wahre zu "achten", bedeutet, eine "Acht" (Ursprung und Weisheit der Zahlen)) zu sein, ein "verlorener Sohn", ein vergessenes Kind, ein nicht "Geachteter", der am Ende doch zu der Erkenntnis seiner eigenen edlen Herkunft gelangt. 

Solch ein das Wahre "achtender" Mensch kann ein Prometheus werden; einer, der "unbeachtet" von der Großen Welt das Licht für seine Nächsten holt. Im Gegensatz zum Verhalten der weltlichen Mächte und von jenen, die von den Unwissenden als die "Großen" angebetet werden, ist sein Verhalten absolut nicht auf die eigene Befriedigung gerichtet. Er sucht keine Sklaven, sondern Gefährten, Kameraden, Gleiche, sich selbst nicht zählende Idealisten, die bereit sind, alles hinzugeben für eine geistige Verwirklichung. 

Alle Formen von Idealismus sind ein Abbild dieses geistig-altruistischen Einsatzes, aber auch dieser Idealismus und seine Bekenner werden in unserer Gesellschaft nicht geduldet. Die Basis von Welt und Natur heißt im Augenblick: parasitieren und profitieren von den Nächsten. "Fressen oder Gefressenwerden" ist die Losung; und sie findet ihre Verteidiger in jenen, die sagen, daß die ganze Natur auf diesem Prinzip beruhe. Dabei wird die alte Überlieferung von dem "Löwen und dem Lamm", die miteinander spielen, und von der "Taube und der Schlange, die gleichermaßen friedlich waren im Zeitalter von Saturn" mit einer Handbewegung zurückgewiesen ins Reich der Fabeln, an das nur Mystiker oder Fromme glauben. 

Warum wird das eine Märchen durchaus als Wahrheit angesehen und das andere nicht? 

Weil man meint, für das eine Beweise gefunden zu haben, während sie für das andere im Moment noch nicht vorliegen. Noch nicht..... vielleicht schon morgen? 

Warum müssen wir auf morgen warten, wenn wir glauben wollen, was wir im Innern doch wissen? 

Wer bestimmt, was wir glauben dürfen und was nicht? 

Wer glauben möchte, was er selbst will, und denken möchte, was er will, ist eine Gefahr für jene Mächte, die von der Unterwerfung und Unterdrückung der Masse leben, einerlei, ob sich diese Unterwerfung auf sozialer, religiöser oder mentaler Ebene abspielt. 

Ein Unterdrückter, ein Sklave, der selbst zu denken, nachzudenken beginnt, möchte im allgemeinen seine Ketten abwerfen; sein Unterscheidungsvermögen breitet sich aus, seine Wünsche werden lebendiger; und wenn er Gleichen begegnet, so stimuliert das seinen Mut. 

Dies ist ein sehr verdächtiges Verhalten in den Augen der Massenregisseure. Einem geistigen Erwachen geht sehr oft ein soziales und religiöses Erwachen vorauf. Es bestehen Parallelen zwischen dem sozialen, dem religiösen und dem innerlich spirituellen Verhalten eines Menschen. 

Rebellion ist ein Aufbruch zur Freiheit, jedoch kein Ziel an sich, kein Selbstzweck. 

Ketzerei ist ein Aufbruch zu religiöser Freiheit, jedoch kein Handeln um der Selbstbehauptung willen. Dem spirituellen Menschen wird es gelingen, sogar in schweren Umständen, seine innere Freiheit zu bewahren. Man kann ihm alles antun, ihn erniedrigen, peinigen, aber seine geistige Freiheit kann ihm keiner nehmen. Das ist die Kraft des individuellen Geistes, der durch den großen Geist genährt wird. 

Jenen, die ausschließlich auf Selbstbefriedigung aus sind, fehlt es an diesem unbegrenzten leuchtenden Geist. Keiner ist gefährlicher für die sich selbst befriedigenden und auf Macht versessenen Herrscher als er! 

Es ist die Größe des Schöpfers, daß Er Seinen Geschöpfen eine innere Freiheit mitgab, eine Denkkraft, einen Wunsch, einen Willen, wodurch diese sowohl zu Seinesgleichen als auch zu Seinen Widersachern werden konnten. 

In vielen Geschöpfen wurden diese Gaben zu Widersachern des Schöpfers, wodurch der "Fall in das Chaos" verursacht wurde, ein "Fall", der viele geistige Sucher noch heute belastet, denn warum würden sie sonst zurückkehren wollen zu einem "Land", einem "Seinszustand", der ihnen eigentlich, angesichts der Zeitlichkeit in der Natur, unbekannt sein müßte? 

Warum stoßen sich viele an ihrer eigenen "Unvollkommenheit"? 

Wonach sucht der Mensch? 

Wonach suchst du und ich, Freund? 

Warum haben so viele Angst vor Individualität, vor jener scheinbar arroganten Haltung gegenüber Gott? 

Warum glauben viele, daß man seinem Schöpfer nur kriechend gegenübertreten dürfe, bittere Tränen vergießend über den Fehltritt in einer Urvergangenheit? 

Warum glauben so wenige an eine Vergebung und Barmherzigkeit dieses "liebevollen" Vaters? 

Wer hat dem Menschen suggeriert, daß dieser Gott Sklaven sucht anstatt Seinesgleichen - gefallene, aber zurückkehrende Göttersöhne? 

Hochmut kennzeichnet den gefallenen Göttersohn, aber der Hohe Mut ist die Gabe des zurückkehrenden Göttersohnes. 

Der edle Mut, der ihn aufrechtstehen läßt wie die würdige Eiche, Licht um sich verbreitend. 

Solch ein Göttersohn läßt die unzähligen religiösen Molochs überflüssig werden, denn er folgt den Anweisungen seiner eigenen inneren Flamme. Diese Flamme drängt ihn, den nur vereinzelt gegangenen Weg zum Olymp zu besteigen. 

Und sind die eifersüchtig das Licht bewachenden Götter in Wahrheit nicht seine Brüder, widerstrebende Göttersöhne, begierig nach einer Macht, nach einer Weltmacht? 

Erhebt sich der Prometheusmensch im Grunde nicht gegen seine eigenen Brüder? 

Sklaven braucht er nicht zu fürchten! Es sind die nicht-wollenden, arroganten, besessenen Göttersöhne, die er fürchten muß, jene, die eine "Götterwelt" errichten wollen in einer Sphäre, in der Göttersöhne nicht zu Hause sind. 

Diese sind es, die ursprüngliche spirituelle Lehren gefangennehmen in intellektueller Spitzfindigkeit, in schönen Phrasen, in komplizierten Praktiken, auf daß der aufrichtig suchende Göttersohn beschäftigt gehalten, irregeführt und müde werde. Dann vergißt er, daß die Wahrheit einfach ist. 

Der Prometheusmensch aber wird lächeln und sich durch die Täuschungsmanöver nicht abhalten lassen, weil er weiß, wie einfach der Geist arbeitet, weil er weiß, wer und was der Geist ist. 

Er hat kein Verlangen danach, an der Hand einer Autorität diesen Geist zu untersuchen. 

Ist nicht ein Funke dieses Geistes in ihm? 

Warum sollte er sich suggerieren lassen, daß er ein "Sünder", ein Dummkopf oder ein Unfähiger sei? 

Jeder Prometheusmensch weiß, daß die "kleine Kraft" sich in eine wunderbare Größe verwandelt, wenn er den ersten Schritt auf den Olympusweg setzt. 

Wer sollte ihm suggerieren können, daß der Geist Seinen Funken nicht führen würde? 

"Gott läßt nicht fahren die Werke Seiner Hände", lautet ein bekanntes Wort. 

Sollte Er dann Seine geistigen Funken übersehen? 

Das Schlimmste, was einem gefallenen Göttersohn passieren kann, ist, den Glauben an diese innewohnende Flamme zu verlieren, da er hierdurch die Verbindung zwischen dem kosmischen Feuer und seinem eigenen kleinen Funken zerbricht. Diesen Glauben durch alle möglichen religiösen Autoritäten ersetzen zu lassen, ist der größte Fehler, den er begehen kann, ein Fehler, den nur ein verirrter, unsicherer, unter Schuldgefühlen gebeugt gehender Göttersohn begehen kann. 

Wer mit seinem inneren Blick, getragen vom innewohnenden Licht, die Aussicht auf die geistigen Fernen aufrechthalten kann, wird glücklich sein. Seine Welt wird keine Grenzen kennen, sein Glaube wird aus der Inspiration der Hoffnung atmen, und seine Liebe zum Geist wird ihn mit Dankbarkeit erfüllen. Deshalb wird er jedoch niemals stolz auf sein eigenes Wissen sein, noch dem Größenwahn verfallen, zu meinen, ein Auserkorener zu sein. 

Im Gegenteil. 

Die an ihm bewiesenen Wunder werden ihn immer wieder zur Bescheidenheit rufen, weil er erkennt, daß er "eigentlich nichts weiß, je mehr er weiß". 

Darum wird jeder Prometheusmensch damit beginnen, seine Gefühle und sein Denken von allen suggestiven Einflüssen zu reinigen. Er muß seinen Eigenwert wiederum herstellen und sich von der Vorstellung befreien, daß er eine "nichtsnutzige, wertlose und ichsüchtige Kreatur" sei. Gerade diese fortwährende Beschäftigung mit der eigenen angeblichen Wertlosigkeit macht ihn zu einem Ichsüchtigen, aber auch zu einem von seinen Beherrschern Abhängigen. Einem, der sich selbst minderwertig findet, wird der Mut zum Holen des Feuers genommen. Und eben dies ist die Absicht jener Mächte, die ihn als eine geistige Milchkuh benutzen wollen. 

Doch nun steht diesen Mißbrauchern ihrer Macht ein zurückkehrender Göttersohn, ein Prometheus, gegenüber! Er hat die Wirklichkeit des innewohnenden Feuers an sich selbst erfahren, und er ruft alle Kraft dieses Feuers auf, um sich mit dessen Hilfe von allen jenen suggestiven Beeinflussungen zu reinigen, die ihn von innen her entkräften wollen, einzig und allein aus eifersüchtiger Angst. 

Er muß nun mit Hilfe dieser doch bereits starken inneren Flamme einen Wall reinen Lichtes um sich herum bauen, auf daß keine einzige entkräftende Suggestion mehr hindurchbrechen kann. 

Aufs neue wird er auf die innewohnende "kleine Kraft", die Davidskraft, vertrauen müssen, eine Kraft, die einen Goliath vernichten kann. 

Das reinigende Feuer ist wie eine warme Glut, die von innen her aufsteigt und eigentlich alles verbrennt, was zuvor von Bedeutung war. Die Scheinsicherheiten fallen fort, aller scheinbarer Halt entfällt, die Hilfe von außen scheint zu entfallen, mit einem Wort, diese Reinigung ist wie jene alchemische "Einäscherung", was zurückbleibt, ist nur die Asche, aus der ein neues Leben entstehen muß. 

Solch eine Reinigung wird von Zeit zu Zeit im Leben des Menschen stattfinden. Der eine übersteht sie, der andere nicht. Ein Prometheus muß selbständig denken und handeln. Er muß bereit sein, selbst die Verantwortung auf sich zu nehmen, die Konsequenzen seines Tuns zu akzeptieren. Er kann sich hinter nichts und niemandem mehr verbergen. 

Der Mensch in dieser sechsten Phase begreift dies nur allzugut. Er verbrennt das Alte und erschafft das Neue. Er wirft alte Schuhe fort, weil er weiß, auf neuen gehen zu können, obwohl er diese noch nicht an seinen Füßen hat. 

Das nun ist das Arbeiten mit abstraktem Wissen, mit einem inneren Ideal. Dies ist die Kraft einer inneren Sicherheit, die man jedoch nicht an andere übertragen kann, weil jeder diese Sicherheit selbst in sich aufbauen muß. 

Wenn dieses reinigende Feuer seine Arbeit verrichtet hat, wird dieser Prometheus seinen Auftrag deutlich vor sich sehen und den Götterberg erkennen können durch seine beseelte und beseelende Imagination. 

Das reinigende Feuer beseitigt die letzten Hindernisse in einem Menschen. Es läßt ihn mit einer ihn einengenden Vergangenheit brechen, mit Gedanken, die durch einschneidende Ereignisse krank wurden. Es reinigt so vollständig, daß man meint, ein vollkommen neues Leben zu beginnen, was auch Sinn und Ziel dieser Feuer-Aktivität ist. 

Nur jene, die sich nicht von geliebten Denkweisen, von vermeintlichen Stützen oder äußerlichem Wissen trennen können, werden durch diese Reinigung Schmerz erfahren. 

Doch der ehrlich strebende Prometheusmensch erfährt eher eine Erleichterung. Was ist schöner als ein neuer Anfang, wenn es Der Gute Anfang ist? 

Und daß dieses der Gute Anfang wird, weiß er ganz sicher. 

Es ist in ihm wie eine leuchtende Kraft, ein Quell ewig fortfließender Kenntnis, ein Schauen hinter die Dinge und Verstehen und Vergebensbereitschaft gegenüber seinen Nächsten. Unnachgiebigkeit empfindet er nur gegenüber seinen widerspenstigen Gleichen, gegenüber jenen, die bewußt die Unwissenden mißbrauchen und die Schwachen täuschen. 

Das reinigende Feuer hat eine enorme Auswirkung: Es offenbart die Täuschung. Es scheidet das Heilige vom Unheiligen, vor allem aber das Böse vom Göttlichen. Es macht diesen Menschen nur für einen kurzen Augenblick einsam, für jenen Augenblick, in dem die letzte vermeintliche Sicherheit oder der letzte Schein fortfällt und alles in ihm und um ihn seine Bedeckung, seine Hüllen verliert. 

Reinigung macht geistig nackt. 

Ist dies vielleicht der Grund, weshalb sich der Mensch jahrhundertelang vor der Reinigung verschloß? 

Und auf Geheiß der Religionen auch seine innere Nacktheit nicht erfahren durfte? 

Mit der Profanierung des Heiligen werfen wir heute alle unsere Bedeckungen von uns, geistig und körperlich. Aus Mangel an Erkenntnisvermögen kennen wir die Grenze nicht zwischen dem Profanen und dem Heiligen, zwischen dem Schamlosen und dem Bescheidenen. 

Das Heilige läßt sich nicht provozieren; mögen auch arrogante gefallene Göttersöhne dies glauben. 

Der im Reinigungsprozeß stehende Prometheus kennt sein Gefängnis bis in die allerfeinsten Verzweigungen, und darum wird er die Reinigung ruhig ihren Fortgang nehmen lassen, erkennend, wie Mauer nach Mauer abgebrochen wird, wie geliebte Bilder Stückchen für Stückchen demaskiert werden. Er wird höchstens denken: Auch das, mein Gott? 

Es wird ihn eine leichte Wehmut überkommen, wenn er bemerkt, wie wenig übrigbleiben wird, und er wird von Zeit zu Zeit durch einen Anflug von Zweifel überfallen werden, fürchtend, daß auch diese kleine, aber starke Sicherheit, die ihn beseelt, von diesem Feuer ergriffen werden wird. 

Er wird durch Gebet oder Meditation, durch Konzentration oder einfach durch ein positives, auf den Geist gerichtetes Denken diese kleine Flamme beschirmen, umhegen und ermutigen. Reinigung bedeutet Streit zwischen dem Unreinen und dem Reinen. Streit bis zu jenem Augenblick, da man den Inneren Streiter für sich streiten läßt und das Reine sich einfach in sein eigenes Licht zurückzieht, wodurch das Unreine von selbst abfällt, ohne daß die innere reine Flamme dadurch berührt wird. 

Wer seine Fesseln abwirft, ruft Streit auf. 

Jene, die etwas behalten wollen, lehnen sich gegen denjenigen auf, der die Enthaltsamkeit predigt. Jene, die aus Scheinlicht eine Welt aufbauen, protestieren gegen die Demaskierung durch Das Licht. 

Einer, der den Göttern das von ihnen mißbrauchte Feuer nehmen will, kann eines Gegenangriffs sicher sein. Es gibt unzählige Dämonen, die das Dämonische lieben und nicht mehr zu Gott zurückkehren wollen, obwohl dieser ihr Ursprung ist. Sie sind die gefährlichsten Gegner, weil sie mit Intelligenz arbeiten. Ihr göttliches Feuer ist ein dämonisches Feuer geworden. Ihr Deus ist Dämon geworden. 

Doch auch sie werden einmal zurückkehren, aber "wie durch ein Feuer". Keiner entkommt dieser einschneidenden, umwandelnden Veränderung. Eine Veränderung, die in der Tat so erfahren wird, als ginge man durch ein Feuer. 

Ein Prometheus, der selbst das reinigende Feuer durchlebt hat, wird auch diesen Aspekt seinem brennenden Holunderzweig hinzufügen. 

Er wird immer kämpfen für das Gerechte, das Einfache und Wahre; und er schaut geradewegs durch Scheinheiligkeit, Äußerlichkeit und Täuschung hindurch. 

Wieviele werden seine Aufrichtigkeit und seine Wahrheitsliebe zu schätzen wissen? 

Wieviele werden damit einverstanden sein, daß ihnen die Maske abgerissen wird? 

Dennoch kann das reinigende Feuer den Segen der Erkenntnis bringen, vor allem für jene, die durch die Fackel dieses Prometheus plötzlich die Wahrheit sehen, ihre Situation, ihre Sklaverei, ihren erbärmlichen Zustand, der ihrer nicht würdig ist. Ein solches Erwachen einzelner stimmt freudig. 

Dann zählt der Widerstand nicht mehr, noch die fortgesetzte Auflehnung. Dann zählt nur noch der eine, der durch die reinigende Ausstrahlung der Fackel seine Ketten abzuwerfen bereit ist. Dieser Einzelne hat vielmehr Wert als die Horden, die kraftlos, ohne Individualität, den Instruktionen der Mächtigen folgen. 

Die Blicke jener sind kraftlos geworden, ihr Denken ohnmächtig, ihre Gefühle in Banden gelegt; und ihr Organismus kämpft vergebens gegen die Krankheiten, die ihr gefangener Geist ihnen auferlegt. 

Ein gereinigter Prometheus kennt keine Angst für sich selbst. 

Was könnte er noch verlieren? 

Angst ist der Begleiter der Schafe und der Sklaven. Der Weg zum Gipfel des Heiligen Berges verlangt Furchtlosigkeit, der Weg-nach-unten ebenfalls. 

Wird es keinen Widerstand dagegen geben, wiederum unterzutauchen in diesem Jammertal? 

Wird es kein Heimweh nach dem Licht geben, wird es keine Angst geben, daß diese Fackel verlöschen könnte? 

Ja und nein. 

Jeder diesbezügliche Gedanke wird sofort aufgehoben. 

Das ist der Segen des Prometheus-Seins. Seine Sorge ist seine Fackel. Und seine Fackel ist er selbst. 

Sein Fackellicht muß rein bleiben, hell, leuchtend, Wärme verbreitend. Sein ganzes Leben, seine Hoffnung und seine Freude liegen verborgen in seinem Auftrag: die Fackel leuchtend zu halten. Da er weiß, daß diese Fackel am kosmischen Feuer entzündet wird, begreift er, daß Schöpfer und Kosmos über dieses Licht wachen. 

Ist eine größere Sicherheit denkbar? 

Was man seinem Ego auch vorwerfen mag, es ist unverletzbar geworden, wenn es sich im Licht der Lichter verborgen hat. 

Ist es nicht dessen Diener geworden, so wie die zeitliche Natur eine Dienerin der Urnatur ist? 

Ein Diener zählt sich selbst nicht, noch den Spott, der ihn trifft. Er fühlt sich nur beleidigt, wenn sein Herr beleidigt wird. Der Herr von Prometheus ist das All. Er ist das Lebendige, das sich in der Schöpfung und in den Geschöpfen befindet; Er ist das geistig Lebendige, das sich in seinen Nächsten befindet. 

Für dieses Lebendige wird er kämpfen, mit Hilfe des Lebendigen in ihm selbst. 

Reinigung bringt Abschied mit sich. 

Reinigung bringt oftmals einen Bruch mit dem Vertrauten mit sich. 

Was ist das Vertraute? 

Bringt das Vertraute dich zu deinem Schöpfer, mein Freund?  Wenn nicht, laß es dann fortgenommen werden durch das reinigende Feuer und blicke dich nicht um, denn es geht dorthin, von wo es gekommen ist: in die Welt der Schatten, wo es sich im großen Nebel auflöst. 

Aber du, du bist Licht! 

Ein Prometheus! 

Ein Göttersohn, der zurückkehren möchte. Darum bist du bereit, dir alles nehmen zu lassen, was dich auf diesem Weg zurückhalten könnte. 

Nicht du bist der Reiniger, sondern das Licht reinigt. Nicht du beurteilst, sondern das Licht beurteilt, was dich behindert. Laß den großen Reiniger seinen Weg gehen. Und sei still, ganz still. Wache über deine Fackel, hege deine Flamme. 

Flüstere in der Einsamkeit mit dieser inneren Flamme, in der Sprache der Götter, und horche, wie der Äther die Klänge holen kommt, um sie weiterzutragen, entlang den unbegrenzten Himmeln, an denen das Licht niemals untergeht. 

Reinigen ist neu werden. Es ist das Schauen auf die kleine Flamme, wissend, daß diese einst ein großes Feuer werden wird, den Kosmos erleuchtend, den Kosmos durchreisend, pochend an die Tür aller Seelen, die einmal Reisegefährten waren, aber die Erinnerung an ihre Flügel verloren haben. 

Laß das reinigende Feuer das Unreine aus dir fortbrennen, Prometheus, und halte dich unbeweglich. 

Auch der Schmerz der Vergangenheit wird vergessen sein, wenn du gereinigt bist. Schaue weit voraus, Prometheus, lasse dich durch diese Fackel erleuchten, und erleuchte jene, die meinen, daß sie von lauter Dunkelheit umgeben seien.

©1970-2013 Henk und Mia Leene