Artus, der Mensch, der das Seelenschwert empfing

Viele Legenden berichten, daß Merlin, der Magier hinter dem Thron von Artus, sich stets in den Wald von Northumberland zurückzog, um sich mit den weisen Geistern zu vereinigen, die dort wohnten. 

Die Erzählungen stimmen hiermit nicht überein, denn man kann sehen, daß in späteren Zeiten manches hinzugefügt wurde, damit die Überlieferung leichter an die Zeit und die Gedankenwelt ihrer Zeitgenossen angepaßt werden konnte. 

Die Wahl von Artus zum König von der Bretagne ist eine bekannte Geschichte: wer das Schwert aus dem Marmorstein ziehen kann, ist König. Dies gelang keinem der versammelten Ritter, bis der sechzehnjährige Knappe Artus mit größter Leichtigkeit das Schwert aus dem Marmor zog. 

Wir stoßen hier auf eine Überlieferung großen Formats, denn es geht um das Erreichen der Königsschaft durch den Menschen, der auf der Suche nach dem Gral oder mystischen Stein ist. 

Als Artus in den Besitz des Schwertes gelangte, wurde er zum König. Er zog in den Kampf, wobei das Schwert zerbrach. 

Das ist eine klare Andeutung der Unvollkommenheit des Königsschwertes, wenn der Mensch auf die Suche gehen will nach spirituellen Dingen. 

Wenn die Königsschaft mittels des Schwertsymboles erreicht ist, das Kraft, Gerechtigkeit, Wahrheit und Unüberwindlichkeit symbolisiert, hat das Schwert keinen Nutzen mehr. 

Artus' Schwert zerbricht im Kampf mit König Pellinore. 

Es war nie der Zweck des Königsschwertes, andere gleichen Ranges zu bekämpfen, sondern es war dazu da, den Weg zur Königsschaft freizumachen, damit der Mensch, auf der Suche nach dem Gral, sich zuallererst der Königsschaft bemächtige. 

Artus, der sechzehnjährige Knappe (man denke hierbei an die Zahl 16) und seine reine Kindestat, d.h. der reine Mensch, der unter der Einstrahlung des Siebengeistes (16 = 7) steht, erhält die Möglichkeit zum Erwerb der Königs-Priesterschaft. 

Zuerst wird er zu einer Königsschaft berufen, damit durch die Königsschaft, durch das Denkvermögen, das wie eine Krone das Haupt ziert, die Priesterschaft erwachen möge. Doch Artus hat eine andere Wahl getroffen. 

Artus, ein Mensch mit randvollen Möglichkeiten, befähigt, die große Chance zum Erreichen des Grals wahrzunehmen, hat in seiner Königsschaft versagt, weil er sie auf das horizontale Niveau der Welt erniedrigt und seine Taten an die Interessen der Welt gefesselt hat. 

Er wurde zu einem Menschen, der sein Streben auf Güte, Wahrheit und Gerechtigkeit richtete und das Königsschwert zum eigenen Nutzen gebrauchte, wodurch es brach. 

Dennoch wurde ihm die Möglichkeit gegeben, das Seelenschwert zu gebrauchen, hatte er doch die ersten Schritte der Vorbereitung zum Finden des Grals als sechzehnjähriger Knappe mittels des Blutzustandes gesetzt, nun sollte er ebenfalls die Seelenmöglichkeit erhalten. 

So lernte Artus die Frau vom Meer kennen. Er trat in Verbindung mit der reinen Ätherkraft auf der Basis der Kenntnis und der Weisheit, die ihm Merlin übertragen hatte. 

Wir müssen hier klarstellen, daß König Artus, der Gerufene, nichts ohne den Beistand von Merlin, dem großen Weisen tat, denn er brauchte noch eine Priesterschaft aus zweiter Hand, um seinen eigenen Mangel anzufüllen. 

Die Legende berichtet, wie Artus zusammen mit Merlin zu einem See reist, wo sie inmitten des Sees einen Arm aufragen sehen, der ein schönes Schwert in der Hand hält. 

Dann sagte Merlin, daß dies das Schwert sei, das er Artus versprochen habe und daß der Arm der Frau vom Meer gehöre. 

Seit der Zeit, als Artus das Schwert empfing, um seine Seelenverwirklichung zu beginnen, fing das Spektakel um ihn an. 

Mit seinem unüberwindlichen Schwert Excalibur, was "das Reinste und Aufrichtigste" bedeutet, beschäftigte er sich weiter mit den Mühseligkeiten seines Hofes, zog in den Kampf gegen alle, die ihm zu nahe kamen, ließ sich mitführen von aller Unruhe, die die horizontale Ebene belebt und warf sich, bewaffnet mit dem Schwert Excalibur, unter die Kämpfenden. 

Außer den sogenannten Überwindungen seiner Gegner hört man nichts Besonderes von ihm in spiritueller Hinsicht. 

Man liest wohl wie Artus betrübt ist, wehmütig ist, einmal wegen einen verlorenen Kampfes, dann wieder wegen Bärbeißigkeiten an seinem Hof, doch die große Freude des Herzens ist ihm nicht gegeben.  Und das ist begreiflich. Artus hat seinen Auftrag nicht verstanden. 

Er wurde ein Kämpfer für das irdische Gut und Böse. Trotz seiner großen Möglichkeiten wurde er verschlungen von den zwei Strömen, die die Welt darstellen. 

Das Schwert Excalibur war das Größte und Wertvollste, das Merlin Artus schenken konnte, denn es geht hier um die Reinheit, Unantastbarkeit und Wahrheit der Botschaft selbst. 

Da Merlin gerufen wurde, das irdische Lebensfeld zu verlassen, übertrug er seine Kenntnis Artus, der ein Kainmensch, ein Feuermensch, ein gefallener Gottessohn war, oder anders ausgedrückt: ein Lichtfunkenatom besaß. 

Diese Kainmenschen gleichen Luzifer, sie greifen nach der Macht, nach der Königsschaft, doch sie müssen lernen, der Priesterschaft teilhaftig zu werden durch Demut, fromme Andacht, Glauben und Einfachheit. 

Der Kainmensch besitzt große Qualitäten, man vergleicht ihn mit Luzifer, dem Gottessohn, der als ein leuchtender Komet in das Chaos stürzte, um dieses Chaos umzuwandeln in ein stoffliches Königreich, durchzogen von seinem heiligen Schöpfungsfeuer. 

Stoff und Geist sind in diesem Menschen vereinigt. 

Er trachtet immer danach, den Geist in dem Stoff gefangenzunehmen, und durch sein göttliches Seelenprinzip verlangt sein Herz ständig nach der Verwirklichung des einen Vollkommenen. 

So auch der Artusmensch. Alles, was er mittels der Weisheit übertragen bekommt, legt er fest in den Stoff. 

Als dann die Zeit gekommen ist, wo die Suche nach dem Gral wahrhaft beginnen muß, sieht er, wie seine Ritter ihn verlassen, weil sie durch die Sehnsucht des Herzens zur Gralssuche gerufen wurden. Und dann weint Artus. 

Er kennt seine Ritter, d.h. er besitzt Selbsterkenntnis; er weiß, daß er versagte, daß seine Ritter jetzt selbst gehen werden, daß er leer und ohne Ziel zurückbleiben wird, wartend auf seinen Tod. 

Er weiß auch, daß einige nicht an seinen Hof zurückkehren werden, und daß jene, die zurückkommen werden, verändert sein werden, und daß ihre Anwesenheit, so völlig verändert von der Einstrahlung des Grals, Verwirrung stiften wird in seiner Hofhaltung, daß Streitigkeiten und Unlust entstehen werden. 

Dann ist es auch wirklich um Artus geschehen. 

Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als das mächtige, reine Seelenschwert Excalibur der Frau vom Meer zurückzugeben. 

Dann lesen wir wie Artus stirbt. 

Angesichts seines Todes will er am Ufer des Wassers sterben. 

Er will noch einigermaßen vereint sein mit der reinen Ätherkraft, wovon das Wasser ein Symbol ist. 

Dennoch behält Artus, schwer verwundet, sein Leben, bis er seine Aufgabe erfüllt hat, bis er zum Prozeß der Seelenevolution sein eigenes Werk beigetragen hat. 

Er besitzt noch immer das Seelenschwert, welches er jedoch unter keinen Umständen mehr besitzen kann, denn bei seinem Tod schenkt er sein Seelenschwert weg, er sendet sein Seelenfluidum zum Mikrokosmos zurück, wo es warten wird, bis ein folgender Bewohner des Mikrokosmos es für sich beanspruchen wird. 

Das Seelenschwert ist kein persönlicher Besitz. Artus erhielt es geliehen. 

Artus weiß dies, deshalb muß das Seelenschwert, koste es was es wolle, dem Element, aus dem es geboren ist, zurückgegeben werden: dem Wasser. 

Das ist dann der letzte Auftrag von Artus, wie es auch der letzte Auftrag eines jeden Menschen ist, der eine gefallene göttliche Seele besitzt und auf der Basis dieser Seele einen Lebensweg gesucht hat. 

Artus nimmt ungern Abschied von Excalibur, er bedauert sein Scheitern und den Abschied von den Seelenmöglichkeiten, "nur Lancelot ist es wert, dich zu besitzen", sagte er. 

In der Tat, der Vater von Galahad ist ebenfalls ein Mensch, der gerufen wurde zum Erreichen des Grals, doch auch er hat das höchste Ziel nicht erreicht. 

Artus wußte, daß Lancelot, der Vortrefflichste seiner Höflinge, "die Pfade für seinen innerlichen Gott" recht machen wollte. 

Lancelot hatte ebenfalls eine Verbindung mit der Königin, doch er griff nach der Macht, ehe er vollkommen reif war. 

Wir müssen diese Ritter des Königs Artus nicht nur als Menschen betrachten, die auf der Suche nach dem Gral waren, als Seelen auf der Suche nach dem Vaterhaus, sondern auch als Strömungen, die im Menschen vorhanden sind. 

In seiner Sterbensstunde gab Artus seinem Schildknappen den Auftrag, das Schwert Excalibur "über den Berg zu bringen und wieder in das Meer zu werfen". 

Jetzt bestand eine Trennungsmauer zwischen Artus und dem Meer und der reinen Ätherkraft. Er war nun nicht mehr imstande, der Frau vom Meer noch einmal zu begegnen. 

Er überließ diese Begegnung einer unbewußten Seele, die das Schwert in Besitz nahm und es zu behalten trachtete. 

Denn Giflet ging hin, sah das Meer und betrachtete noch einmal die Schönheit des Schwertes und bedauerte seinen Auftrag und kehrte zu Artus zurück mit einer Lüge auf den Lippen und dem Schwert, verborgen in seiner Tasche. 

Doch Artus durchschaute seine Worte, weil Giflet beim Wegwerfen seines eigenen unwürdigen Schwertes nichts gesehen und nichts vernommen hatte in dem Meer. 

Er sandte ihn zurück und Giflet warf die Scheide in das Meer, während er die Klinge behielt. 

Doch wiederum durchschaute ihn Artus und schickte ihn nochmals, nun das dritte Mal, zurück. 

Dann warf der Schildknappe das Seelenschwert Excalibur zurück in das Meer. Kaum berührte es das Wasser als eine Hand erschien, die das Schwert ergriff, es dreimal herumschwang und wieder unter der Wasseroberfläche verschwand. 

So starb Artus. 

Unmittelbar nach der Rückgabe des Schwertes machte er sich zum Sterben bereit. 

Es war auch nicht anders möglich. 

Dreimal hatte er versucht, das Schwert zurückzugeben. 

Nach dem dritten Mal, d.h. erst nachdem die Seele sich zurückgezogen hatte aus Denken, Wollen und Fühlen starb Artus; er war völlig entbunden. 

Die Seele und ihre Möglichkeiten waren zurückgekehrt zu ihrem Seelenhaus und wurden inmitten der reinen Seelenkraft bewahrt, bis die Möglichkeit zu einer erneuten Offenbarung für sie gekommen sein wird. 

So ist es auch verständlich, daß die Gralsritter, die an den Hof zurückkehrten, d.h. Parzival und Bors, nicht nach Hause kamen an den Hof von Artus. 

Man vernimmt nichts mehr von ihnen. 

Der Hof von Artus ist eingestürzt, er hat aufgehört zu bestehen. 

Die Legende endet hier, der ganze Gralsweg ist offengelegt, die Symbolik hat eine Anweisung den Seelen gegeben, die wahrhaft auf der Suche nach dem Gral sind. 

Wenn die Welt Artus verehrt als den besten Menschen, als den edelsten Menschen, dann sehen wir darin wiederum ein Bemühen der Welt, den Geist der Unstofflichkeit, die Universelle Wahrheit in Anspruch zu nehmen, um durch Verfälschung, Bedeckung und Verwirrung diese universelle Wahrheit den gefallenen Seelenmenschen vorzuenthalten. 

Denn diese Welt strebt nicht nach dem Erreichen des Grals, diese Welt jagt nach Selbstbefriedigung, und die zu dieser Welt Gehörenden jagen nur nach Ichbefriedigung, weil sie so versessen sind auf "Ehre, Sieg, Humanismus und Edelmut"; es sind alles Strömungen auf der horizontalen Ebene, die dazu beitragen, die Menschheit an ihr Lebensfeld zu binden. 

Es gibt noch viel mehr als Adel, Humanismus, Ehre und Güte, es gibt noch so etwas wie Spiritualität. 

Eine Spiritualität, die zum Erreichen der göttlichen Priesterschaft führen muß. 

Es sind die Könige unter der Menschheit, die gerufen werden zum Priester, es sind die göttlichen Seelen, die gerufen werden zu ihrem Auftrag, doch es ist nie die Absicht gewesen, daß sie ihren königlichen Adel knechtisch der Materie unterwerfen, obwohl dies häufig geschieht, gerade bei jenen, die durch Selbstverwirklichung die Suche nach dem Gral unternehmen wollen. 

E sind die königlichen Menschen, die ergriffen werden von Machtwollust und Eitelkeit, von Selbstbefriedigung und Ehrgeiz. 

Daher kommt es, daß die Artuslegende gerade diese Menschen anspricht, sie werden aufmerksam gemacht auf ihre Berufung, sie werden angesprochen in ihrem tiefsten Wesen, sie sehen in Artus sich selbst, doch sie vergessen, daß Artus ebenfalls gescheitert ist, daß er scheitern mußte, wie auch jene, die die Gralslegende in den Rahmen von Mystik, Okkultismus oder Moral ziehen. 

Die Gralslegenden steigen weit darüber hinaus. Sie sprechen von einem Seelengang, der aus dem Stoff emporsteigt zum irrealen Gralspalast. Denn wer den Stoff auf die Gralssuche mitnehmen will, wer seine stofflichen Begierden und Verlangen nicht ablegen kann, ehe er den irrealen Palast betritt, für den ist dieser Palast eine Fata Morgana.  

Man denke an Lancelot. 

Und was tut der Okkultist und der Ichmensch denn anderes als den Stoff mit beiden Händen festzuhalten und so auf die Suche nach dem Gral zu gehen. 

Es gibt viele, die gerne wollen, oder meinen zu wollen, aber dennoch so viele Reserven haben, daß der Gral für sie unerreichbar bleibt. Dann haben sie Träume vom Gral, Halluzinationen, Mystifikationen und verlieren völlig den richtigen Weg. 

Gelingt es ihnen aber in den Gralspalast einzutreten, in das Lebensfeld, worin der Quell aller Weisheit bewahrt wird, dann sehen sie den Gral erscheinen, sind aber nicht imstande, die wahre Wirklichkeit des Grals zu ergründen. Eine Vereinigung mit ihm kommt nicht zustande. 

Wir weisen hier auf die Erfahrung von Gawain und Lancelot hin. 

So wünschen wir Ihnen Einsicht in die wunderbare Gralslegende, die nicht nur eine symbolische Überlieferung ist, sondern die Geschichte der gefallenen Seele auf dem Weg zu ihrer Vollendung. 

Es ist die Beschreibung des Rückweges der gefallenen Seelen, der Gottessöhne, nach ihrem ursprünglichen Reich. 

Diese gefallenen Seelen, in der Materie gefangen, sehnen sich nach Befreiung und Aufgang, doch es wird ihnen nicht gelingen, wenn Sie, der stoffliche Mensch, nicht der Wegbereiter sind. 

Sie können nur ein Artus sein, ein gerufener Mensch, ein königlicher Mensch, doch sie müssen wünschen, ein Galahad zu werden, ein Königspriester, ein Gerufener, der bereit ist zu sterben für seine Überwindung. 

Gebe Gott, daß der Gralsritter in Ihnen auferstehe!

©1970-2013 Henk und Mia Leene