Obwohl Lancelot nicht eine der Hauptpersonen der Gralslegende ist, sollte er doch nicht unserer Aufmerksamkeit entgehen, mit Rücksicht auf seine wichtige Mitwirkung an dem Auftrag von Galahad.
Lancelot ist der Sohn von König Ban de Benoôc und seiner Frau Helene, er war das einzige Kind, und obwohl er bei der Taufe den Namen Galahad empfing, nannte man ihn später Lancelot.
Bei dieser typischen kleinen Besonderheit müssen wir einmal verweilen, da Ritter Lancelot der Vater wird von dem bekannten Galahad, dem Ritter vom Heiligen Stein oder vom Gral.
Die Erwähnung seines ersten Namens deutet auf den Ruf von Lancelot hin. Es ging nicht zuerst darum, den Gral zu finden, sondern vielmehr um seinen Sucherpfad frei zu machen, damit seine Seele die göttliche Begegnung erleben könne.
Lancelot erreicht in seiner Vaterschaft von Galahad eine seiner größten Überwindungen.
Bereits sein erster Geburtsschrei hat ihn verbunden mit dem Namen: Galahad.
Galahad - Gilead - oder Gal-Ed bedeutet soviel wie der Unberührte, voller Geistkraft.
Es ist somit deutlich, daß der Ritter Galahad als ein Mysterien-ritter betrachtet werden muß, als eine Personifizierung des allerhöchsten geistigen Gutes, des göttlich Unberührten, der Seelenkraft, die im Geist Gottes eingebettet liegt.
Lancelot ist somit durch einen Auftrag an Galahad gebunden, an die unberührte Seelenkraft.
Um diese Seelenkraft zu erreichen, muß man Königs-Priester werden.
Die Königsschaft des königlichen Hauptheiligtums, der Krone, leuchtend mit zwölf Paar glitzernden Edelsteinen, muß zusammengehen mit der Priesterschaft des Herzheiligtums, dem Sitz der Religion und der mitfühlenden Menschenliebe.
Neben König Artus ist Lancelot einer der voranstehenden Ritter, er ist königlich in seinen Taten, unüberwindlich in seiner Streitbarkeit, maßlos in seiner Liebe zu Guinevere.
Gerade diese Liebe zu Guinevere, der Königin von Artus, wird ihm angerechnet als einer seiner größten Fehler.
Durch die ganze Geschichte hin hat man es Lancelot übel genommen, daß er seine Augen zu der allerhöchsten und alleredelsten Frau aufgeschlagen hat, einer Frau, die einem anderen gehört.
Betrachten wir einmal dieses Mysterium miteinander.
Lancelot besitzt dieselben Qualitäten wie Artus, wie er auch alle Qualitäten besitzt, um ein guter Gralsritter zu werden.
Er besitzt somit die Kraft zur Königsschaft und die Kraft zur Priesterschaft.
Er ist ein Mensch, der noch nicht weiß, was er will, er kennt noch nicht den richtigen Weg und die richtige Methode, um mittels eines Prozesses oder Schlüssels das Höchste, die Königs-Priesterschaft zu erreichen.
Darum wendet er sich der Königin zu, er hat sie lieb, weil in ihm die Sehnsucht nach der Königsschaft, nach dem Erreichen des höchsten Denklebens, mächtig durch die Adern strömt.
Er kann nicht darauf warten, bis der Schlüssel in seinem Besitz ist, er will und wird den Gipfel erreichen.
Bis Galahad an den Hof kommt, sein eigener Sohn Galahad, den Lancelot nicht erkennt und auch nicht von ihm erkannt wird, weil er ihn in Unbewußtheit erweck hatte.
Galahad bringt den Gral in den Bereich der Ritter, und plötzlich, in einem Lichtimpuls, wird auch Lancelot in seinem Herzheiligtum getroffen.
Bis zu diesem Augenblick hatte er all sein Begehren, all sein Streben auf seine Macht gerichtet, auf Überlegenheit.
Sein Herzheiligtum, das durch das Haupt verführt wurde, wandte sich der falschen Liebe zu und nun wird es ihm plötzlich deutlich: er muß auf die Suche gehen nach dem Gral, er muß diesen Gral besitzen. Das ist sein Ziel!
So verläßt Lancelot den Hof, läßt sein erstes Interesse im Stich, Guinevere bleibt tief betrübt zurück. Lancelot weiht sich der Priesterschaft, ohne die Königsschaft erreicht zu haben.
Wiederum trachtet er danach, mittels seiner alten Eigenschaften den Gral zu erringen, er ist streitbar und kämpft gegen alle und alles, das ihm entgegenkommt.
Es gelingt ihm nicht, die Einsicht zu erhalten, den alten Harnisch abzulegen.
Er kämpft nicht mit offenem Visier und wir sehen in der Legende, wie er sich mehrere Male täuscht, wie er einen Fehler nach dem anderen begeht.
Nur in seinem Traum erscheint ihm noch einmal der Gral, der anderen gereicht wird und ein Ritter ihm sagt, daß dieser Gral nicht für ihn bestimmt ist.
Dann ist der energische, mutige Lancelot niedergeschlagen.
Doch schnell gewinnt er das Selbstvertrauen in seine eigene Kraft zurück und zieht weiter, mit dem Schwert in der Hand, dem Schwert der Mitleidlosigkeit und nicht dem Schwert der Liebe.
Dennoch erreicht Lancelot den Gralspalast. Zuerst unbewußt, als ein schwer Verwundeter, doch später bewußter, obwohl noch nicht völlig klar, denn ihm fehlt der Waffenrock, wie der Torwächter sagt.
Dennoch kommt er hinein und ist Zeuge des Erscheinens des Grals, doch hat er selbst keinen Anteil daran.
Er ist einer der vielen, die den Gral kennen, um sein Bestehen wissen, doch nicht fähig sind, ihn selbst zu besitzen.
Daher erscheint der Gral dem Lancelot bedeckt von einem Tuch.
Es ist typisch für den Ritter Lancelot, daß er, nachdem er den Gral im Palast des Fischerkönigs gesehen hat, wieder fortgeht.
Es gibt andere Dinge, die ihm wichtig sind, er muß seinen Bruder der Tafelrunde, den er selbst getötet hat, begraben, er hat noch so viel zu tun.
Er ist in den Gralspalast gekommen als ein Fremder, obwohl er eigentlich ein Bekannter hätte sein müssen, denn die Tochter des Fischerkönigs, die mit an der Gralsmahlzeit teilgenommen hatte, ist seine Frau gewesen, die Mutter seines Sohnes Galahad.
Sie weiß es, ihr Vater weiß es, nur Lancelot ist unbewußt geblieben, obwohl er die Möglichkeit zur Seelenentfaltung in sich trägt, doch er es nicht weiß.
Er ist wie der Sucher, der sich auf den Weg macht, um den Gral zu erreichen, doch noch nicht weiß, wo der Gral zu finden ist und weshalb und aus welchem Antrieb er sucht.
Er wird von einem mikrokosmischen noch unbewußten Drang getrieben, auf der Basis von Erfahrungen vieler Persönlichkeiten in seinem Mikrokosmos.
Er ist die Summe dieser Erfahrungen und wird sich davon nur zeitweilig bewußt, in einem Lichtblitz, wenn er "still" geworden ist, wenn er aufgehört hat, so überzeugt von sich selbst zu sein, von seiner eigenen Macht und von seiner eigenen Unüberwindlichkeit.
Wir sehen dann auch, als Lancelot den Beschluß gefaßt hatte, den Gralspalast zu verlassen, daß er bei seinem Zurückblick auf den Palast nur eine verlassene Ebene sah.
Es ist für ihn ein Traum gewesen, die ganze Gralserfahrung verbarg sich wieder in seinem mikrokosmischen Bewußtsein, blieb darin verschlossen, vielleicht zum Heil einer folgenden Persönlichkeit in seinem Mikrokosmos, doch selbst macht er keinen Gebrauch davon, er will zurück, zurück an den Hof von Artus, wo er der gefeierte Mann war, wo er dominieren konnte, wo er einigermaßen das Gefühl hatte, "etwas" zu sein durch seine beantwortete Liebe zu Guinevere.
Doch alles nimmt einen anderen Lauf!
Es ist etwas verändert in Lancelot, doch weiß er es nicht.
Seine Liebe zu Guinevere ist besudelt, es besteht Mißtrauen. Eifersucht und Uneinigkeit sind geboren.
Der ganze Hof von Artus scheint in Aufruhr gekommen zu sein nach der Rückkehr verschiedener Ritter. Nichts ist mehr dasselbe.
Lancelot kann nicht mehr zurückfallen in seine alten Interessen, denn er sucht jetzt andere.
Guinevere mißtraut ihm, weil er sich auf Seitenpfade begibt.
In der Tat, wenn einmal der Mensch berührt ist in seinem Herzheiligtum durch die Sehnsucht nach dem Erreichen des Grals, wenn die Urerinnerung, die empfindliche Saite im göttlichen Kernprinzip berührt ist, ist er nicht mehr derselbe wie vorher, dann wird er vorwärtsgetrieben auf andere Pfade, gerät er in Konflikt mit seinen alten Interessen und Emotionen, findet er keine Befriedigung mehr in seiner ersten Liebe.
Er wird zum wirklichen Sucher, zu einem Menschen, der hin und her geworfen wird zwischen Stoff und Geist und der unter allen Umständen den Gral erreichen will.
Er hat entdeckt, daß all seine Macht, all seine Kenntnis, all sein mangelhaftes Verlangen ihn nicht näher an das Ziel gebracht haben, im Gegenteil, er hat gelernt, daß er sich selbst bestimmten Gesetzen unterwerfen muß, es ist unmöglich den freien Herrn zu spielen.
Es gibt Gesetze, die mit der Gralssuche verbunden sind, Gesetze für Könige und Gesetze für Priester, beide müssen erfüllt werden, man kann sich nicht an das eine Gesetz halten und das andere negieren.
Lancelot ist das Ebenbild von Artus, mit einer Ausnahme: er ist noch nicht der königliche Mensch, noch kein Baumeister.
Er baut und vernichtet gleichzeitig, er baut auf einer verkehrten Materie und durch seine Selbstsicherheit vernichtet er die Liebe.
Die letzten Worte von Artus: "Lancelot ist der einzige, der des Seelenschwertes würdig wäre", sind richtig.
Denn Lancelot besitzt alles.
Er ist nur unbewußt, er ist bis zur Berührung mit dem Gralslicht ein unbewußter Sucher, der nicht weiß, was er sucht und wo er suchen muß. Er stellt sich zur Wehr gegen das unbefriedigte Verlangen in ihm und verteidigt sich, er ist bereit, bis zum Äußersten zu kämpfen.
Als er den Gral im Palast von Artus sieht, ist er wie durch einen Blitzstrahl sehend geworden.
Sie kennen alle diese Augenblicke der Bewußtwerdung, die jedoch oft auch schnell wieder verschwinden.
In diesem Augenblick war Lancelot mehr als Artus, denn Artus weinte, während Lancelot bereit zu gehen war.
Er war bereit, seine erste große Liebe zu verlassen und Entbehrungen und Schmerzen für den Gral auf sich zu nehmen.
Doch er versagte, da er das gnostische Gesetz und die Methode nicht kannte und nicht bereit war, seine Eigenbrötlerei dem gnostischen Gesetz zuliebe aufzugeben.
Galahad ließ seinen alten Harnisch hinter sich, Parzival und Bors ebenfalls, doch Lancelot behielt ihn.
Hier sehen wir wieder, wie die Zeichnung der Gralsritter übereinstimmt mit dem Menschen, der auf der Suche ist nach dem geistigen Erreichen.
Viele von uns gleichen dem Parzival, der okkulten Persönlichkeit, andere gleichen dem Artus, es sind die königlichen Menschen, die das Seelenschwert in den Händen halten, jedoch nicht bereit sind, es für das Erreichen des Grals zu gebrauchen.
Wieder andere gleichen dem Lancelot, sie sind nicht bereit, den alten Harnisch auszuziehen, nicht bereit, zum Nullpunkt zurückzukehren und in der Erkenntnis zu stehen: ich bin nichts.
Sie tragen ihre Selbstsicherheit, ihr Selbstbewußtsein stets mit sich, auch dann, wenn sie in einem guten Augenblick berührt werden von einem intensiven Lichtstrahl im Herzheiligtum.
Wir fragen Sie: Wie viele Lancelots dürften unter uns sein?
Berührt, bewußt geworden, doch wieder versunken in dem Eigenwahn und in der Scheinwelt der Selbstbefriedigung?
Wie viele gibt es nicht auf der Welt, die irgendwo, tief in sich selbst, wissen, daß der Gral, der Schatz der Verfolgten, der Stein der Weisen, keine Legende ist, jedoch eine festumrissene Wirklichkeit?
Sie negieren ihre innere Kenntnis und gehen weiter auf dem eingeschlagenen breiten Weg.
Sie suchen nach einer Lösung, um sich dann, mit einer nagenden Sehnsucht in sich, wieder den weltlichen Dingen hinzugeben.
Doch sie müssen entdecken, daß sie die Dinge nicht mehr so interessieren, daß die nagende Sehnsucht bleibt, trotz ihres Sprunges in die Vergessenheit, und sie für immer verbunden bleiben mit dem intensiven Schmerz des Verlangens nach dem Mystischen Stein.
Wenn sie sich umblicken, um den Lichtschacht zu sehen, der zum höchsten Erreichen des Grals führt, sehen sie jedoch nichts als eine Wüste, die Tür ist hinter ihnen zugeschlagen, weil sie andere Dinge wählten.
So sind sie in ein Niemandsland geraten.
Der Geist der Dinge stößt sie noch ab, weil sie den alten Harnisch nicht ablegen wollen und die Materie der Welt interessiert sie nicht mehr, weil sie die Kraft und das Licht des Grals kennen gelernt haben.
So sind sie wahrlich zu Fremdlingen auf der Erde geworden, zu Umherirrenden, wie Lancelot, der wegzog vom Hofe des Artus und umherirrte.
Sie gehören dann zu den Millionen von wahrhaften Suchern, die noch nicht völlig berührt sind. Ihr Bewußtsein im Hauptheiligtum ist noch nicht entzündet, sie werden nur weitergetrieben von der vagen Erinnerung und verfehlen unzählige Male den Weg.
Sie werden zu schmerzbeladenen Seelen, weil sie, als sie die Möglichkeit besaßen, ihre Chance nicht genutzt hatten.
Sie kehrten sich um und gingen dahin.
Andere Dinge hielten sie beschäftigt. Sie mußten erst ihren "Vater begraben", wie die Heilige Sprache sagt.
So lernen wir wiederum aus der Gralslegende, daß das menschliche Wesen das tiefste Mysterium ist, das die Welt kennt.
In ihm verborgen liegt das "unbefleckte Seelenverlangen", Gal-Ed, auf dessen Basis sie die Suche nach dem Gral zu einem guten Ende führen können.
Doch der Mensch ist sich dessen häufig nicht bewußt, und so folgt der schmerzliche und mühsame Weg, den so viele Bücher beschreiben, der in vielen Märchen und Legenden zu finden ist und den wir in unserem eigenen Leben erkennen können.
Ritter Lancelot, der zu den Gralsrittern gehörte, der zu den Auserkorenen gehörte, wandte sich schließlich ab und wählte den breiten Weg, den mit Schmerz beladenen Weg.
Möge einmal von uns gesagt werden können, daß wir die Stimme erkannten, als sie uns rief.
Damit der Allvater sprechen möge: "Siehe, dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."
Und die Taube, der Geist, senkte sich auf ihn nieder, die Königs-Priesterschaft wurde auf seine Schultern gelegt, der Kreuzgang kann vollendet werden.