Bei der Herausgabe dieses Büchleins über den Lebensbaum der Urtugenden möchten wir nicht versäumen, unsere Leser auf den großen griechischen Philosophen PLATON (427-347 v. Chr.) hinzuweisen, der in seiner POLITEIA den Urtugenden ein Denkmal gesetzt hat, und zwar in zehn Büchern, deren Dialoge sein Lehrer SOKRATES leitet.
Platon weist darin bereits auf die Parallelität zwischen dem Aufbau der einzelnen Seele und der "Polis" hin, dem Gemeinwesen oder der Ekklesia, der vollkommenen Gemeinde oder Gemeinschaft der Heiligen, wie sie im Neuen Testament genannt wird.
Ausgangspunkt für die Welt des All-Guten ist bei Platon die Notwendigkeit, aus der über drei Seelenvermögen: Wille oder Mut, Vernunft und Verlangen - bei der griechischen Polis die drei Stände der Herrschenden, Dienenden und Erwerbenden, die vier Eigenschaften erwachsen: Weisheit, Tapferkeit, Besonnenheit und Gerechtigkeit, die alle vier sowohl der Seele als auch der Polis eignen. (Buch IV 441)
Wenn sich auch im Laufe der Zeit die Bezeichnungen der einzelnen Urtugenden gewandelt haben, so sind in den drei platonischen Seelenvermögen unschwer die drei paulinischen- Urtugenden Glaube, Hoffnung und Liebe wiederzuerkennen (1. Kor.13,13), die Gregor der Große (540-604) den vom Kirchenvater Ambrosius (340-397) genannten vier "Kardinaltugenden" Mäßigkeit (Temperantia), Klugheit (Prudentia), Starkmut (Fortitudo) und Gerechtigkeit (Justitia) zur Auffüllung der Siebenheit in der Zeit beifügte.
Aus dem Mittelalter stammt dann das Gleichnis vom Tugendbaum, wie er dieser Schrift als Titelbild dient, bei dem aus der Demut als der Wurzel aller Tugenden an der linken Seite die Tapferkeit, die Klugheit und der rechte Glaube und an der rechten Seite die Gerechtigkeit, die Mäßigkeit und die feste Hoffnung sprießen, während die Krone des Baumes gebildet wird aus der Liebe, die Gott ist: Maria mit ihrem göttlichen Kind: Christus. 2)
Ein ähnliches Bild, nämlich eine Weltachse mit acht Himmelskugeln, bildet auch den Abschluß von Platons POLITEIA in dem sogenannten "Bericht des Er": eine Spindel, die sich im Schoße der "Notwendigkeit" dreht, ist von acht Wirbeln umgeben, die als der Fixsternhimmel und die sieben Planeten gedeutet werden, erkenntlich an ihren Farben und Tönen - ein Bild, das auch der "Schaffnertisch" des frühen 16. Jahrhunderts wiedergibt -: nach Platon regiert also nicht die Gerechtigkeit diese Welt, sondern die Notwendigkeit (Ananka). Jedoch ist die Wahl des Einzelschicksals der Seele bei der Reinkarnation freigestellt. (Buch X 616-621)
Lassen Sie uns mit dem platonischen Grußwort am Ende der POLITEIA: Leben Sie wohl - was zugleich "gut handeln" wie auch "sich wohlbefinden" bedeutet - überleiten zur Aussage des Tugendbaumes in unserer heutigen Zeit.
Die Redaktion
Ein besonderer Dank sei an dieser Stelle Frau Agnes Klein, Minden, gesagt für ihre Hilfe bei der Redaktion und beim Satz dieses Buches, sowie für die mühevolle Arbeit mit dem Zusammenstellen der Literatur- und Stichwortverzeichnisse.
Henk Leene