"Wer sein Herz für den Ehrgeiz öffnet, schließt es für die Ruhe."
Selbsterkenntnis ist eine der ersten Forderungen auf dem Weg zu den geistigen Höhen, wie es uns von allen Botschaftern und Weisen gelehrt wird. Man muß das Instrument voll und ganz kennen, um zu wissen, was man damit anfangen kann.
Natürlich hat es keinen Sinn, sich seiner Unzulänglichkeiten wegen Vorwürfe zu machen, jedoch hat es durchaus einen Sinn, Reparaturen vorzunehmen, so daß der innere Klang schöner nach außen treten kann.
Man erreicht den inneren Menschen durch den äußeren Menschen hindurch; dieser ist das Kleid, welches abgeworfen werden muß. Wie kann man ein Kleid abwerfen, wenn man nicht weiß, wo der Verschluß sich befindet?
Das Leben wird meistens auf ein gesellschaftliches Ziel ausgerichtet; das Kind wird mit einer gesellschaftlichen Stellung vor Augen aufgezogen. Der ganze Organismus, der Charakter, die Tugenden und die Untugenden werden geknetet, um dieses Ziel zu erreichen.
Ehrgeiz ist eine Regung, die latent in einem jeden Menschen vorhanden ist; der eine Typ weckt ihn leichter als der andere, doch der Mensch, der ohne ein Fünkchen Ehrgeiz seinen Lebensweg geht, ist eine Seltenheit. Ehrgeiz liegt im Bekanntsein, in der Selbstbefriedigung, in der Genugtuung und im Geschmeicheltsein des Egos. Alles, was übermäßig entwickelt ist, nimmt eine krankhafte Form an. Übermäßiger Ehrgeiz reißt den Menschen in die Strudel eines überwältigenden emotionalen Meeres.
"Töte den Ehrgeiz", sagt die östliche Weisheit. Aber Ehrgeiz kann durch keine Methode getötet werden, er kann nur analysiert werden und ersterben, dadurch, daß man ihn nicht mehr nährt. Die Existenzangst nährt den Ehrgeiz, weil Ehrgeiz eine Garantie für die Selbstbehauptung bietet. Die Wurzeln des natürlichen Seins liegen u.a. im Ehrgeiz.
Ein geistiger Weg hat im Anfang den gleichen Verlauf wie ein natürlicher Entwicklungsgang. Das Kind bekommt die Gelegenheit sich zu entfalten, wobei der instinktive Selbstbehauptungsdrang mehr oder weniger geweckt wird.
Keiner kann sagen: "Ich bin nicht ehrgeizig", höchstens: "Mein Ehrgeiz treibt mich nicht an."
In der Spiritualität führt Ehrgeiz zu einem fanatischen Streben nach geistiger Befriedigung. Es ist nicht der Hunger der Seele, der einen solchen Menschen zum Erfolg drängt, sondern das selbstbehauptende Ich, das in der Gesellschaft zu kurz kam, stürzt sich dann auf die Spiritualität.
Der Weise strebt nicht mehr, noch hat er es auf Selbstbehauptung abgesehen, was auf viele immer den Eindruck macht, daß ein spiritueller Mensch lau und passiv wäre.
Aktivität birgt die Gefahr in sich, daß der Ehrgeiz dabei ein Wörtchen mitspricht; Passivität ruft nichts auf, doch wird der Mensch dadurch auch kein lebendiges Individuum, die Voraussetzung für eine spirituelle Entwicklung.
Der spirituelle Pfad verläuft immer haarscharf entlang den Gefahren des Scheiterns und der Selbstvernichtung. Nicht zufällig warnen die Weisen vor allen Täuschungen und Leidenschaften, vor Selbstbetrug und Scheinmethoden.
Dem passiven Menschen begegnet nichts; er schläft, so wie auch der unselbständige Mensch im Wartezimmer seines autoritären Führers schläft.
Man begegnet Maya in allen ihren Facetten sobald man aktiv ist, dann werden das "Nicht-Streiten", das "Nicht-Tun", das "Nicht-Reagieren", wobei das Freisein von Ehrgeiz eine entscheidende Rolle spielt, plötzlich aktuell.
Passive Menschen und aktive Menschen verstehen einander nicht, weil sie in verschiedenen Welten leben und der passive Mensch meint, daß er spirituell wäre, weil ihm keine der bekannten Irreführungen begegnet, während der aktive Mensch alle Phantome der Auflehnung gegen sich anrücken sieht.
Jeder Aktion begegnet Reaktion; das ist jedoch kein Grund, nichts zu beginnen. Das Suchen und Eintreten in die innere Stille vollzieht sich nach der Überwindung von allen Arten des Kampfes. Niemals vorher!
Ein natürliches gesundes Ego hat Ehrgeiz. Sich selbst zu erkennen und dadurch seine Widersacher wahrzunehmen, ist der Anfang des Freiseins von Ehrgeiz.
Keiner kommt ohne ein gewisses Maß an Ehrgeiz ans Ziel, sagt der Mensch; d.h. keiner erreicht das beabsichtigte Resultat ohne sehr konzentrierte, mit dem ganzen Wesen vollzogene Ausrichtung auf das Ziel.
In der Spiritualität verhält es sich genauso, nichts geschieht ohne Anstrengung und Konzentration. Jedoch unterscheidet sich der Ausgangspunkt. Der gute Beginn gibt den Ausschlag für den Unterschied zwischen Ego-Streben und Seelen-Wunsch. Sobald das Ego in das spirituelle Streben mit einbezogen wird, ist Ehrgeiz beteiligt.
Man kann natürlich niemals versuchen, von außen her die sechzehn Tugenden zu verwirklichen, man kann sie nicht in den Menschen hineinbringen, sie sind latent vorhanden. Es geht einzig und allein darum: Werden sie aufgeweckt?
Der innere Mensch oder die Seele läßt die Untugenden abklingen, allmählich verebben; doch zuallererst muß sich ein jeder klar darüber werden, wieweit der innere Mensch lebendig ist oder werden kann.
Das Ego kann diesen nicht aufrufen. Für seine Gegenwart ist eine Wechselwirkung nötig zwischen Ego und Ur-Erinnerung, innerer Empfänglichkeit und Einsicht des Ichs.
Passive Übergabe an etwas macht den Menschen leblos, nicht tugendsam. Man reißt keine Ego-Merkmale aus, indem man sie leugnet oder einsalzt.
Innere Reinigung geschieht durch Selbsterkenntnis und darauf folgende aktive Arbeit.
Der Mensch wird immer in eine kritische Situation geführt, wenn er glaubt, in spiritueller Hinsicht bereits etwas erreicht zu haben. Es wird ihm ein Spiegel vorgehalten, und gerade in einem solchen Augenblick kann man erkennen, wieviel noch an emotionaler Selbstbehauptung in dem Pilger vorhanden ist.
Ein passiver Mensch begegnet niemals einer solchen Situation; jeder sendet sein eigenes Signal in den Raum aus, daraufhin eilen die Situationen, als Reaktion, auf ihn zu.
Das Leben eines spirituell aktiven Menschen ist niemals eintönig: Wenn sich der Geist um den Menschen bemüht, gerät die Gegenkraft in Auflehnung. Wenn der "Dreizehnte", der Geist, in die zodiakale Zwölffältigkeit einbricht, gerät jene in Aufruhr.
Ruhe und Gleichgewicht sind etwas vollkommen anderes als Eintönigkeit. Ruhe muß erworben werden. Gleichgewicht inmitten eines Kampfplatzes ist ausschlaggebend für den Verlauf des Kampfes.
Darum ist Gleichmäßigkeit, als einer der anderen sechzehn Punkte, nicht dasselbe wie Interesselosigkeit oder Gleichgültigkeit. Aus Gleichmäßigkeit erwächst ein ausgeglichenes Ego.
Es ist ein Gleichgewicht zwischen Fühlen und Denken. Doch es ist schwer zu erlangen, denn es liegt nicht in der Hand des Menschen, weil Gleichmäßigkeit die Folge einer inneren Standhaftigkeit ist. Das Erkennen von geistigen Werten und das intensive Verbundenbleiben mit ihnen macht den Menschen gleichmäßig, ungeachtet der Umstände.
So wie immer hat der eine Mensch von seinem Typ her mehr Beziehung zu einer bestimmten Sache als der andere, doch in Wirklichkeit lautet die Aufgabe immer noch: Gleichgewicht zwischen den vier Elementen: Feuer, Wasser, Luft und Erde, gerade dann, wenn der Äther, das fünfte Element, Unruhe zu bringen versucht. Er erfüllt den Auftrag des "Dreizehnten" und prüft den Menschen.
Suchende Menschen, als spirituell Ausgerichtete, kommen täglich mit dem Äther in Berührung, und dies wirkt sich bei jedem Typ anders aus. Eine solche Berührung reißt den Menschen aus seiner Passivität und aus seiner Gleichmäßigkeit. Sie zwingt ihn, Stellung zu nehmen, und das ist dann der Beginn aller Berührung.
Ketzerei ist der Beginn von Bewegtheit, dieser folgt eine Reihe von Aktivitäten, bis der Mensch am Ende begreift, daß er zur Gleichmäßigkeit zurückkehren muß.
Überall findet man Analogien zwischen dem natürlichen und dem geistigen Leben. Die Seele mußte fallen, um zu begreifen, daß ihr ursprüngliches Feld ihr wahres Zuhause ist. Der Mensch muß zuallererst ausbrechen, bevor er entdeckt, daß er seinen inneren Frieden und seine Gleichmäßigkeit zurückerobern muß.
Darum begegnen sich unselbständige Menschen und ketzerische Individuen in spiritueller Beziehung niemals; ersteren fehlt die Seelenerfahrung der anderen.
Der zufriedene Esoteriker kennt weder die Unruhe noch die Tiefe der Gleichmäßigkeit des fortgeschrittenen Esoterikers.
Man wird in die wirbelnden Fluten der inneren Berührung gestürzt, und nun muß man versuchen, erneut Boden unter die Füße zu bekommen, während man die einmal verlassene Küste zurückweist. Es ist jedoch logisch, daß dadurch ein innerer Kampf mit Gebeten, mit Verzweiflungsschreien und bitteren Erfahrungen entsteht. Wer dies leugnet, kennt die innere Bewegtheit des Ketzers nicht, die intensive Beseelung, das innere Wissen, die ihn positiv die alte Sicherheit verlassen ließen. Dann erst beginnt der Pfad, dann gelangt man in die Wirklichkeit des ätherischen Bemühens, das unvorhersehbare Umstände und Aspekte mit sich bringt.
Alles wird diesem Menschen aus der Hand geschlagen, bis er es wagt, sich auf seinen inneren Schatz, seinen einzigen Rettungsanker zu verlassen. Wird ihm nicht alles aus der Hand geschlagen, so ist dies ein Beweis dafür, daß sein innerer Anker noch nicht genügend vorhanden ist.
Wer dahin kommt, vollkommen allein zu stehen, besitzt innere Kraft und wird mit dieser bekanntgemacht, so daß ihm eine neue, unvergängliche Sicherheit gezeigt wird. Aus dieser Sicherheit, erkämpft und bekundet, geht dann die Gleichmäßigkeit hervor: "Es ist gut so, wie es ist." Ein Satz, den der beginnende Ketzer haßt, den der ehrgeizige emotionale Mensch verabscheut und den nur der bis in seine Seele hinein geprüfte Mensch versteht. Er kann die Unterströme an sich vorbeiziehen lassen und erkennt die Wechselhaftigkeit des Chaos, in das er geriet. Es geht also wieder um jene "Übergabe", die jedoch fast ausschließlich falsch verstanden wird.
Sich übergeben kann man erst, nachdem man alles kennengelernt, alles durchstanden, alles geprüft hat, entweder im jetzigen oder in vergangenen Leben. "Weisheit kommt nach tiefen Erfahrungen", sagt der Alchemist.
Jeder Typ geht seinen eigenen Weg und findet seine eigene Möglichkeit, um die Gleichmäßigkeit, das Gleichgewicht zwischen den vier Pfeilern herzustellen, ungeachtet der Unruhe, die der Äther oder der Geist darin bewirkt. Jeder entdeckt seine eigene Formel, weil kein Mensch dem anderen gleich ist.
Ehrgeiz ist eine Leidenschaft der Luft und des Wassers, des Feuers oder der Erde und äußert sich entsprechend unterschiedlich: emotional - intellektuell - leidenschaftlich-fanatisch oder unbeugsam durchsetzend, Sicherheit bauend. Darum ist diesbezügliches Erkennen eine sehr individuelle Angelegenheit und das Erreichen des Gleichgewichts ebenso.
Gerade das eigene spezifische Element, das vom Typ des Menschen abhängig ist, ist so schwer zu beherrschen. Darum kann keiner seinen Nächsten be- oder verurteilen, man kennt sein Material nicht, noch sein Wirkungsfeld.
Der folgende Punkt: Vorurteilsfrei zu sein, bezieht sich darum sehr oft auf eine Flucht vor dem eigenen Selbst. Sich mit anderen zu beschäftigen, heißt immer, die eigene Situation zu verlassen, zu negieren oder manchmal für vollkommen zu halten.
Jeder Mensch weiß, daß jeder Gedanke auf den Menschen zurückschlägt, so wie auch jedes Gefühl. Einer, der schnell, instinktiv urteilt, einzig und allein auf einen flüchtigen Eindruck hin, verschließt sich in einem Standpunkt, geht von der eigenen Meinung aus.
Gleichmäßigkeit bedeutet auch: Sei bereit, die eigene Ansicht zu verlassen. Sei bereit, unrichtige Schlußfolgerungen zu erkennen, mehr noch, diese zu revidieren.
Ein Vorurteil zu haben, bedeutet, eine Tür zuzuwerfen und durch ein winzig kleines Fenster die Umgebung zu betrachten und zu beurteilen.
Man sei offen, aber man beschirme das Herz; man sei bereit, allem zu begegnen, aber man bleibe sich selbst. Sich selbst zu sein, heißt: den inneren Menschen anwesend sein zu lassen, um ihn beurteilen, streiten, vergeben zu lassen.
Der Mensch hat sich in seinem Leben mit unzähligen Vorurteilen beladen, die er nun aufs neue Stück für Stück abtasten und meistens wegwerfen muß. Ein Vorurteil beruht immer auf einer lückenhaften Kenntnis oder auf einem Widerstand: nicht annehmen zu wollen, was möglicherweise richtig ist, aus Angst, daß das eigene Selbst dabei angegriffen werden könnte.
Man selbst zu werden, heißt auch: aus den sich selbst auferlegten Vorurteilen hervorzukommen, um alles, was man zu wissen meint, an der Wirklichkeit zu prüfen. Das bringt oftmals Überraschungen. Dann wird der Mensch mehr und mehr er selbst, derjenige, der er wirklich sein will. Man kann nicht über die Herstellung eines Bildes urteilen, wenn man es zuvor nicht selbst versucht hat.
Das ist auch die Aktivität, die zu Beginn dieser Darlegung gemeint war: Jeder muß sich davon überzeugen, daß das richtig ist, was er gelernt hat; alles, was man gesammelt hat, muß an der Praxis erprobt werden.
Die Praxis des Lebens ist die Schule des spirituellen Menschen, und diese Praxis muß er selbst durchleben.
Der spirituelle Weg ist keine Schulung, keine angelernte Kunst; er ist die Praxis, in die man auf der Basis von innerer Vorbereitung eintritt, und je besser die Vorbereitung, desto intensiver wird die Praxis.
Je mehr man innerlich entdeckt oder freimacht, desto schwerer werden die Lebensaufgaben. Das ist in Wirklichkeit Fortschritt, Einweihung, Weiterkommen. Man gibt selbst das Zeichen, wenn man "weiter" gehen kann. Der Mensch ist in jeder Beziehung autonom.
Die Lektionen des Lebens gehen weiter, bis man sie begriffen hat. Jede durchlebte Lektion ist ein Stück Lebenspraxis geworden, aus der Weisheit erwächst.
Freisein von Ehrgeiz, Gleichmäßigkeit, ohne Vorurteil sind drei Gaben, die aus harten, intensiven inneren Erfahrungen des autonomen Menschen hervorgehen. Sind sie einmal errungen, so vermag kein einziger Umstand dieses Erworbene wieder auszulöschen.
Keiner kann sagen: "Ich bin dies oder das..." oder: "Ich habe dieses oder das...", die Umstände beweisen, wer man ist und was man besitzt. Aus ihnen muß man seine Lehren ziehen, dann wird man milder seinen Nächsten gegenüber und erkennt man oftmals, daß sich der Geist, den man sucht, unmittelbar in Reichweite befindet, denn man beschirmt und bewahrt ihn gerade dann, wenn die schwersten Prüfungen kommen.
Man suche darum nicht in weiter Ferne, was sich unmittelbar im eigenen Bereich befindet. Wer klopft und ruft, bekommt Antwort. Diese Beziehung ist die Voraussetzung und der Beweis eines autonomen Lebensweges.
Der sich gegen die allgemeingültigen spirituellen Normen auflehnende Mensch wird ein Ketzer, und ein solcher verlangt Widerstand, bis er bemerkt, in ein anderes Lebensgebiet, in eine andere Landschaft zu kommen. Wenn er dies entdeckt hat, will er wiederum ausbrechen, um die Wahrheit hinter den nächsten Bergen zu suchen.
Es gibt kein Ende, es gibt nur einen Guten Beginn, der das Gute Ende bereits in sich schließt. Beginn und Ende bilden ein Ganzes, eine Ewigkeit, eine fortwährende Wechselwirkung zwischen individueller Geistseele und universellem Geist. Es gibt kein Ziel, es gibt nur das Sein.
In dieser Überzeugung können alles fanatische Streben, alles Seufzen und Stöhnen, alle Zweifel verblassen. Sie schenkt jene weite innere Ruhe, in der die Seele sich badet in der Beschirmung des Meeres der Herrlichkeit, dessen Wogen sie nach Hause führen.