"Wenn ich einen grünen Zweig im Herzen trage, wird sich ein Singvogel darauf niederlassen."
Die sechzehn Punkte sind ein klassischer Stoff in der esoterischen Literatur. Es bleiben uns noch vier Gaben zu besprechen: Vernünftiger Glaube, Hoffnung, Mut, und die Ehre Gottes.
Der vernünftige Glaube ist eines der Themen unseres Büchleins: Glaube - Hoffnung und Liebe.
Aber bezüglich der sechzehn Punkte kann man diesem Glauben noch zweckmäßiger näherkommen.
Vernünftiger Glaube
Der Glaube ist der Grund, auf dem jeder Spiritualist stehen muß, und jeder Mensch hat seine eigene Glaubensform, die ihm Lebensmut schenkt.
Wenn der Mensch keinen Glauben hat, ist er krank oder psychisch entwurzelt. Wenn einem Menschen der Glaube fehlen würde, hätte er absolut keinen Grund, sich auf die eine oder andere Weise spirituell zu orientieren.
Es wird jedoch von einem Spiritualisten mehr verlangt: ein vernünftiger Glaube; und aus einem vernünftigen Glauben wird die hohe Magie geboren. Vernünftiger Glaube bedeutet: Der Glaube umfaßt die Vernunft, und die Vernunft kann sich mit dem Glauben mitbewegen.
Aus der voraufgegangenen Gabe, der Schweigsamkeit, wird, wenn sie gut verstanden wurde, der vernünftige Glaube hervorgehen. Jede Stille, spirituell gesehen, ist notwendig, um Vernunft und Glaube zusammenzufügen. Ein Mensch, der seinen vernünftigen Glauben im Geist veredelt hat, ist immer ein Magier. Und ein Magier reagiert niemals aus einer inneren Unsicherheit heraus, noch läßt er sich durch den einen oder anderen Einfluß mitreißen, noch läßt er sich durch den Hochmut verführen.
Der vernünftige Glaube verändert den Menschen von innen her, weil ihn Intuition und Kenntnis auf einen bestimmten Lebensweg führen und ihn ebenfalls zu einem Vorbild oder zu einem Führer der Mitmenschen machen. Diese Führerschaft ist nicht das, was die Masse darunter versteht, sondern sie geht immer Hand in Hand mit dem Vorangehen in irgendeiner Beziehung.
Vertrauenerweckend ist der Arzt, der seine eigene Medizin einnimmt, und vertrauenerweckend ist der spirituelle Mensch, der seine eigenen Lehren praktisch befolgt. Bei beiden ist das Ergebnis ausschlaggebend. Wenn die dreizehnte Gabe fehlt, finden die übrigen Gaben keinen Verbindungspunkt, keinen zentralen Motor.
Die spirituelle Basis ist der vernünftige Glaube, der vom Menschen selbst erworben werden muß und der bestimmt nicht von selbst angeflogen kommt, noch kann er erlernt werden, er ist im Kern als "Glaube" im Menschen vorhanden, und dieser Glaube ist die Tonerde, aus der der Mensch seinen Gral gestalten muß.
Jeder Glaube ist wie eine Beseelung: Der Glaube an sich selbst macht den Pilger unbewußt; der Glaube an eine Autorität macht ihn zu einem willigen Diener; der Glaube an einen Gott macht ihn zu einem Sucher und zu einem Anbeter Gottes. Wenn dieser Glaube durch die Vernunft und die harten Lebenserfahrungen moduliert wird, wählt er sein eigenes Glaubensziel.
Die Qualität des Glaubens prägt einen Menschen, so wie auch eine Gesinnung das Herz, den Menschen prägt. "Kein Herz für etwas oder jemanden zu haben" ist dasselbe wie nicht daran zu glauben. Der Glaube ist bestimmend für den Lebensweg und für alle Interessen des Menschen; was nicht von seinem Glauben getragen wird, bleibt flüchtig. Das, woran man nicht glaubt, kann man kaum jemals verwirklichen.
Wenn Vernunft und Glaube einander finden, dann kann diese Zwei-Einheit den Menschen bis auf den Gipfel seiner inneren Möglichkeiten bringen, und das bedeutet auch, daß er seinen Mitmenschen etwas zu sagen oder vorzuleben hat. Es versteht sich von selbst, daß dieser vernünftige Glaube von der Hoffnung begleitet wird.
Ein hoffnungsvoller Mensch verfügt über das Wasser des Lebens.
Die Qualität der Hoffnung wird natürlich mitbestimmt durch die Qualität des vernünftigen Glaubens. Ein gläubiger Mensch ist immer ein hoffnungsvoller Mensch. Ein vernünftig gläubiger Mensch ist immer ein heiterer Mensch. Es ist natürlich eine Ungeheuerlichkeit so etwas zu sagen, denn wer wäre ständig heiter und frohgesinnt! Dennoch hängt das eine mit dem anderen zusammen.
Hoffnungsvoll zu sein, ist nicht dasselbe wie grundlos optimistisch zu sein, oder leichtfertig "den Kopf in den Sand zu stecken". Vernünftiger Glaube schenkt dem Menschen eine innere Freude, die immer in den Augenblicken zum Vorschein kommt, da er nicht so in der Klemme sitzt. Die Hoffnung bringt ihn immer über den gefährlichen Abgrund zwischen Schein und Wirklichkeit, zwischen Mißlingen und Enttäuschung. Hoffnung läßt den Menschen immer wieder mit dem Versuch beginnen, sein spirituelles Ideal zu verwirklichen.
Es ist eigentlich nebensächlich, unter welchem zodiakalen Zeichen man steht, wenn man nur zum vernünftigen Glauben und zur Hoffnung gelangt. Vernünftiger Glaube kann sowohl vom Feuer-, als auch vom Erde-, vom Wasser- oder auch vom Luftzeichen verwirklicht werden.
Die Beständigkeit dieses Glaubens hängt von der Quantität des individuellen inneren Geistes ab. Vernünftiger Glaube ist im Wesen beständig. Ohne Vernunft ist der Glaube dem Auf und Ab unterworfen, aber gerade die Zusammenfügung von Vernunft und Glaube schenkt jene universelle alchemische Basis, auf die sich jeder Ausübende der Hermetischen Kunst gründet.
Die Hoffnung verleiht diesem Dauer. Und Dauerhaftigkeit, Beständigkeit ist ihrerseits die Energie, die hinter dem Guten Mut steht.
Vernünftiger Glaube, Hoffnung und Guter Mut vertreiben alle Behinderungen und alle theoretischen Ängste vor einer spirituellen Verwirklichung.
Der Gute Mut ist nicht so einfach von selbst im Menschen vorhanden; es ist dem Guten Mut, obwohl er in der Spiritualität zum Guten Anfang gehört, viel voraufgegangen. Der Gute Anfang ist für den vorbereiteten Menschen. Alles andere, alle Experimente, alle Versuche und Untersuchungen gehen diesem vorauf. Wenn man sagt: "Ich habe keinen Mut dazu", so heißt das immer, daß die Vorbereitung noch nicht vollzogen wurde. Vorbereiten ist Leben, und Leben ist lernen, entdecken, verstehen.
Wenn man noch keinen vernünftigen Glauben und keine leuchtende Hoffnung hat, steht man immer noch in einer Vorbereitung für die spirituelle Entwicklung, ungeachtet des vielleicht eindrucksvollen theoretischen Wissens.
Die Qualität der Hoffnung bestimmt, ob der Mut des Pilgers die Bezeichnung "Guter Mut" tragen kann. Guter Mut ist wie eine erneut aufwallende Energie, die unaufhörlich aus der inneren Sicherheit des vernünftigen Glaubens und des Lichtes der Hoffnung aufgeladen wird. Natürlich lassen wir hier alle niederen Formen von Glaube, Hoffnung und Mut außerhalb unserer Betrachtung.
Um zu einer spirituellen Verwirklichung kommen zu können, braucht der Mensch einen fruchtbaren Boden: den vernünftigen Glauben; ein lebendiges Objekt zum Pflanzen: die Hoffnung; und eine Lebenskraft: den Guten Mut.
Es ist merkwürdig, daß in der Aufzählung der sechzehn Gaben die "Liebe" fehlt. Mit gutem Recht übrigens. Auch unter den sieben Urtugenden nimmt sie eine gesonderte Stellung ein. In der Drei-Einheit von Glaube, Hoffnung und Liebe ist die Liebe die letzte und zugleich die Verwirklichung, das Gute Ende, das einen vollkommen neuen Beginn in sich schließt. Glaube, Hoffnung und Mut sind eigentlich dasselbe Dreieck. Guter Mut und Liebe fließen ineinander. Einer, der Guten Mut hat, hat auch einen Aspekt der Liebe, wie er gleichfalls einen Aspekt des Heilbegehrens hat.
In einer jeden der Urtugenden befindet sich die Liebe. Der Gute Mut ist eine beseelte Energie, die nur fortdauern kann, wenn zwischen Seele und Geist eine Form der Liebe geboren ist. Das Aufflackern von Begeisterung für ein neues Ziel besagt nichts in bezug auf den Guten Mut. Strohfeuer sind Aufwallungen aus dem Ego, doch die Glut der edlen Liebe findet ihre Wärme in der Seele, so wie der Gute Mut seine dauerhafte Energie aus dem Quell der Seele schöpft.
Innerhalb der sechzehn Punkte läßt sich eine Rangfolge wahrnehmen in bezug auf die Qualitäten der Gaben: Sie werden immer spiritueller und somit für den Egomenschen immer unbrauchbarer.
Darum ist es logisch, daß die letzte Gabe eigentlich die Bekrönung darstellt: Ehrt Gott zu allen Zeiten.
Diese Aufgabe läßt mancherlei Deutungen zu, und jeder legt sie natürlich auf seine eigene Weise aus. Nur der Verwirklicher der sechzehn Punkte versteht sie so, wie sie gemeint ist: Halte den individuellen inneren Gott zu allen Zeiten in Ehren.
Wenn der Mensch in die profane Ausübung der sechzehn Gaben absinkt, dann ehrt er Gott nicht.
Gott ehren - das ist auch der Engpaß verschiedener Alchemisten, wie aus ihren Zeugnissen zu erkennen ist. Gott ehren ist so etwas wie selbstverloren, uneigennützig, rein geistig zu leben und zu dienen.
Ehre Gott für das, was du besitzt;
ehre Gott für das, was du kennst und erkennst;
ehre Gott für das, was du bist;
ehre Gott sowohl im Mißerfolg als auch in der Freude.
Alle Ehre gebührt ihm.
Eine fragwürdige Haltung für den hochmütigen intellektuellen Menschen; eine fragwürdige Haltung auch für den einseitig human eingestellten Menschen und ganz gewiß fragwürdig für den ungläubigen Menschen.
Der klassisch gläubige Mensch deutet diese Gabe als das dogmatische Verehren eines Höheren Wesens. Eigentlich ist dieser Punkt weniger eine Gabe als vielmehr das Erreichen eines Meilensteines.
Man kann ihn auch mit der Selbsteinkehr vergleichen, aber dann auf die allerhöchste und wirksamste Weise. Von dieser Einkehr oder diesem Knien vor dem inneren Gottesaltar kehrt der Mensch zurück als ein mit Gott verbundenes Wesen. Gott verläßt ihn nicht, so wie er Gott niemals verläßt. "Er und der innere Gott sind eins." Ist hierin nicht alles enthalten?
Man kann auch von hinten mit den Punkten beginnen und sagen: Wenn wir mit Gott eins sind, bekommen wir die sechzehn Gaben von selbst. Aber sind nicht Beginn und Ende dasselbe? Gibt es je einen Beginn und ein Ende?
Viele geben den Vorrang jenem "Gott ehren und danach werden wir schon sehen, was kommt". Aber "Gott ehren" ist immer die Folge von vernünftigem Glauben, Hoffnung und Gutem Mut. Man kann den einen Punkt nicht vom anderen trennen. Und man muß wohl unbedingt eine vollkommene Einheit mit Gott besitzen, um zu der Verwirklichung der sechzehn Punkte zu gelangen.
Natürlich kann man nicht sagen: "Ab morgen bin ich verträglich oder freundlich" oder etwas ähnliches, aber ebensowenig kann man sagen: "Von jetzt an ehre ich Gott!"
Der Beginn findet sich für einen jeden in einem anderen Stadium, in einer anderen Erfahrung. Wenn man aber in solch einem Beginn steht, dann wurde unter den sechzehn Punkten eine Einheit geschmiedet und ebenso zwischen den Ausübenden dieser Punkte.
Wenn sich der Mensch seinen Nächsten entfremdet fühlt, dann fehlt es an einem gemeinschaftlichen Nenner. Der Mensch, der Gott ehrt, muß in der Lage sein, zwischen sich und seinen Nächsten einen gemeinsamen Nenner zu erschaffen.
Eben weil sein "Gott ehren" ihn begünstigt und er aus einer universellen Kenntnis und einer universellen Einheit schöpfen kann.
Die Geduld ist die Basis für die Verwirklichung aller sechzehn Punkte, aber die Ehre Gottes ist ebenso eine Basis. Die Geduld kann das Gute Ende sein, aber die Ehre Gottes ebenfalls.
Ungeduld ehrt Gott nicht; die Unbegrenztheit der Geduld ist wie das Aufgehen in einem ununterbrochenen Gott-Ehren.
Durch all die Gaben ehrt man Gott; aber in einer jeden dieser Gaben ist diese Ehre nur eine teilweise.
Wenn man nur Einkehr sucht, Stille übt, dann kommt alles von selbst!
Ja! Aber dann müßte doch die Welt mit all ihren Meditierenden bereits verändert sein!
Das "Gott-Ehren" kennt so viele verschiedene Interpretationen, die Seiner Allumfassendheit Abbruch tun.
Das "Ehrt Gott zu allen Zeiten" besagt auch, daß zehn Minuten am Tag nicht genügen! Der Mensch selbst, sein ganzes Wesen und Sein muß ein Ehrerweis an Gott sein, so daß er in keinem einzigen Augenblick daraus fallen kann.
Eigentlich ist es dasselbe wie: Gott gleich sein. Zu sein, wie es der innere Gott dem Menschen vorhält. Der Mensch kann Gott ehren durch sein Leben, seine Arbeit, sein Wort, seine Gedanken, kurz, auf alle menschliche Weise.
Dieser Mensch verrät seinen inneren Gott niemals, und das bedeutet, daß er sein ganzes Leben lang ein geistvoller Mensch bleibt, der an der Verwirklichung der sechzehn Punkte arbeitet, der nach dem vernünftigen Glauben strebt.
Wenn man die Verbindung mit dem inneren Gott verliert, wird man ein irdischer Mensch und vergißt man den Himmel, aus dem man niedergestiegen ist. Erde und Himmel gehören zusammen; Mensch und Gott gehören zueinander.
Seele und Geist bilden eine Einheit; und um diese Einheit wiederherzustellen, muß man entweder mit der Geduld beginnen, um Einsicht zu erlangen, um sich von allen Einflüssen freizumachen usw., oder man muß damit beginnen, den inneren Gott zu ehren, während jeder Sekunde des Tages und der Nacht.
Aber auch dafür ist die Geduld nötig, so wie die Geduld durch einen inneren Gottesbegriff getragen werden muß.
Von welcher Seite man es auch betrachtet, die sechzehn Punkte bilden ein Ganzes, und es spielt absolut keine Rolle, ob man nun beim ersten oder beim letzten Punkt beginnt, wenn man nur beginnt!
Wenn man nur beschäftigt ist, in Bewegung bleibt, am universellen Nenner arbeitet, der Mensch und Mensch, Mensch und Gott, Seele und Geist, verbindet.
Möge der Mensch, jeder für sich, aktiv bleiben im Garten der Gärten, einerlei auf welche Weise, einerlei wo, vor allen Dingen aber einander erkennend und wiedererkennend als Gärtner, die ein und dieselbe Arbeit zu verrichten haben.
Die Geduld läßt die schönsten Früchte reifen, die Gott ehren, den Menschen nähren und zur Erde fallen, wenn sich der Wachstumsprozeß vollzogen hat.